Ergotherapie bei schwerer Hämophilie A

Ich bin Marcel, Vater von Moritz, der schwere Hämophilie A hat. Um ihn in seiner motorischen Entwicklung zu unterstützen, haben meine Frau und ich uns entschieden, ihn zur Ergotherapie zu schicken.

Hämophilie A ist eine seltene Erkrankung, bei der es bei traumatischen Geschehnissen wie Stößen, Stürzen oder Verletzungen zu langanhaltenden Blutungen kommen kann, da das Blut nicht genügend Gerinnungsfaktor enthält. Häufigkeit und Art der Blutungen hängen vom Schweregrad ab. Man unterscheidet zwischen schwerer, mittelschwerer und leichter Hämophilie. Bei unserem Sohn Moritz ist durch die schwere Hämophilie weniger als ein Prozent der normalen Gerinnungsfaktor-Aktivität vorhanden.

Heute können Menschen mit schwerer Hämophilie dank guter und wirksamer Prophylaxe körperlich aktiv sein. Fakt ist aber auch: Kinder mit schwerer Hämophilie müssen bei körperlichen Aktivitäten wie Sport, Toben und alltäglichen Bewegungen vorsichtiger sein als gesunde Kinder.

Als Eltern denken wir bei Prophylaxe nicht nur an die medikamentöse Schiene, sondern für uns ist die Prophylaxe ein Fahrplan aus diversen Modulen. Ein Modul ist neben der medikamentösen Therapie z. B. die Ergotherapie. Was es damit auf sich hat und welche Erfahrungen wir nach knapp zwei Jahren Ergotherapie gemacht haben, das erzähle ich Euch in meinem Beitrag.

Die Diagnose und erste Herausforderungen

Die Diagnose „Hämophilie A“ erhielten wir während der Schwangerschaft und wurde uns kurz nach der Geburt von Moritz noch mal bestätigt. Die ersten Monate waren geprägt von vielen Fragen, Sorgen und Unsicherheiten. Was bedeutet das für sein Leben? Wie würde sein Alltag aussehen? Eine der größten Herausforderungen war es, zu lernen, wie wir als Eltern mit seiner Erkrankung umgehen können, ohne ihn dabei zu übermäßig einzuschränken.

Schon früh war uns bewusst, dass Moritz lernen muss, seinen Körper bewusst wahrzunehmen. Da jeder Sturz oder jede unbedachte Bewegung eine Gefahr darstellen könnte, suchten wir nach Wegen, ihn motorisch optimal zu unterstützen. Hierbei kam das Thema Ergotherapie ins Spiel.

Warum Ergotherapie?

Wir erfuhren in unserem Hämophilie-Netzwerk von anderen betroffenen Eltern, dass sie für ihre Kinder Ergotherapie verordnet bekommen hatten. Das fanden wir interessant, denn uns war klar: Wir müssen Moritz motorisch auf Höchstniveau halten, da er durch seine schwere Hämophilie seinen Körper einschätzen und kennen muss. Dabei schien uns die Ergotherapie eine sinnvolle Maßnahme zu sein. Wir hielten daraufhin Rücksprache mit unserem Hämophilie-Zentrum und seinem behandelnden Hausarzt.

Über den Hausarzt haben wir die Ergotherapie verschrieben bekommen. Seit knapp zwei Jahren gehen wir einmal pro Woche dahin. Seine Therapeutin ist mittlerweile wie eine gute Freundin für Moritz.

Ablauf der Ergotherapie

Eine Therapieeinheit dauert zwischen 30 und 60 Minuten. Die Therapie beginnt in der Regel mit einem Erstgespräch zur Klärung des Anliegens, in dem auch über die bisherige Entwicklung und eventuelle Krankheitsgeschichte des Kindes gesprochen wird. Eine anschließende ergotherapeutische Befunderhebung kann – je nach Alter und Bedarf des Kindes – in Form von freier spielerischer oder gezielter Beobachtung und speziellen Entwicklungstests durchgeführt werden. Sie hilft, gemeinsam mit dem Kind und seinen Eltern konkrete Ziele für die ergotherapeutische Behandlung festzulegen. An diesen wird dann mit gezielten, aber oft spielerischen Tätigkeitsangeboten gearbeitet.

Erfahrung mit schwerer Hämophilie haben die wenigsten Therapeutinnen und Therapeuten, so auch unsere Ergotherapeutin nicht. Aber sie fand es spannend und interessant und hatte sich für Moritz ein gutes, abwechslungsreiches Konzept überlegt.

Welche Übungen helfen Moritz besonders?

Gearbeitet wird oft mit einem anspruchsvollen Bewegungsparcours, in dem die Motorik trainiert wird. Dabei geht es um gezielte Körperkontrolle, Gleichgewicht und Koordination. Besonders effektiv sind dabei:

Die Handmotorik wird durch gezielte fokussierte Übungen geschult. So hat sich Moritz‘ Stifthaltung verbessert, und er kann beim Malen oder Schreiben länger konzentriert bleiben.

Wie hat sich Moritz entwickelt?

Im Alltag hilft uns die Therapie enorm und wir merken, dass Moritz motorisch gut mithalten kann. Besonders auf dem Spielplatz fällt uns auf, dass er eine erstaunliche Selbstsicherheit an den Tag legt. Er kann Situationen gut einschätzen und sich selbstbewusster bewegen. Natürlich bleibt immer ein kleines mulmiges Gefühl in uns als Eltern, aber wir haben gelernt, ihm mehr zuzutrauen. Für das Verständnis: Bei waghalsigen Aktivitäten oder abenteuerlichen Klettermanövern, die jedes Kind für seine normale Entwicklung braucht, sterben wir nicht ganz, sondern nur noch ein bisschen 😉

Meine Tipps für andere Eltern mit hämophilen Kindern:

Falls Ihr ebenfalls überlegt, Euer Kind zur Ergotherapie zu schicken, hier einige Tipps:

  1. Erkundigt Euch bei Eurem Hämophilie-Zentrum sowie Eurer Kinderärztin oder Eurem Kinderarzt, ob Ergotherapie sinnvoll sein könnte.
  2. Findet eine Therapeutin oder einen Therapeuten, die oder der offen für das Thema ist. Erfahrung mit Hämophilie ist nicht zwingend erforderlich, solange die Person bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen.
  3. Setzt Euch realistische Ziele. Die Ergotherapie kann zwar dabei helfen, besser und sicherer auf den eigenen Beinen zu stehen, aber trotzdem sollte man vorsichtig sein, da die Hämophilie natürlich bestehen bleibt.
  4. Bleibt geduldig. Fortschritte können Zeit brauchen, sind aber umso wertvoller.

Fazit

Die Ergotherapie ist für Moritz ein wichtiger Baustein in seinem Leben mit schwerer Hämophilie. Sie gibt ihm nicht nur mehr körperliche Sicherheit, sondern auch ein gestärktes Selbstbewusstsein. Für uns als Eltern bedeutet sie auch ein Stück weit Entlastung, denn wir sehen, dass er lernt, seinen Körper richtig einzuschätzen.

Wenn Ihr selbst ein Kind mit Hämophilie habt, kann ich Euch nur empfehlen, Ergotherapie in Betracht zu ziehen. Sie ist eine wunderbare Ergänzung zur medizinischen Prophylaxe und kann helfen, ein stärkeres, sichereres Körpergefühl zu entwickeln.

Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück.

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