7 Fragen an Frau Dipl.-Psychologin Dr. Gundula Ernst, Vorsitzende der Gesellschaft für Transitionsmedizin

7 Fragen an Frau Dipl.-Psychologin Dr. Gundula Ernst, Vorsitzende der Gesellschaft für Transitionsmedizin

Ein erfolgreicher Übergang von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin ist bei Hämophilen von großer Bedeutung für ihre zukünftige Gesundheit.

Der Fachbereich der Transitionsmedizin beschäftigt sich gezielt mit dieser Thematik. Frau Dipl.-Psychologin Dr. Gundula Ernst ist Vorsitzende der Gesellschaft für Transitionsmedizin und forscht an der Medizinischen Hochschule Hannover seit vielen Jahren zu dem Thema. Im Interview erklärt Dir Dr. Ernst, was Du von dem Prozess der Transition erwarten kannst, und gibt Dir Tipps wie Du sie am besten angehst.

Info

Transition (von lat. transitio „Übergang“) Transition ist der zielgerichtete, geplante Übergang von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit chronischen Beeinträchtigungen von kind-zentrierten zu erwachsenen-orientierten Gesundheitsversorgungssystemen, mit dem Ziel, eine koordinierte, ununterbrochene Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Transfer (von lat. transferre „hinüberbringen“) Im Gegensatz dazu beschreibt der Transfer die direkte Übergabe des Patienten von der Pädiatrie zur Erwachsenenmedizin als einmaliges Ereignis.

Warum ist Transition so wichtig? Ab wann sollten sich Kinder und Eltern für den anstehenden Prozess interessieren?

Die Transition stellt für Jugendliche mit besonderem gesundheitlichen Versorgungsbedarf eine Herausforderung dar. Diese Lebensphase ist stark von Umbrüchen und sich auflösenden Strukturen geprägt: Loslösung vom Elternhaus und Hinwendung zu Peers und partnerschaftlichen Beziehungen, die Beendigung der Schule, die berufliche Orientierung und möglicherweise der Ortswechsel vom Jugendlichen oder seinen Freunden. In dieser „unruhigen“ Zeit fällt es schwer, sich konsequent um seine Gesundheit zu kümmern. Außerdem geht Stress – nicht im Sinne von negativ erlebten Ereignissen wie z. B. Mobbing, sondern im Sinne einer Anpassungsleistung des Organismus – bei vielen Krankheitsbildern mit gesundheitlichen Verschlechterungen einher. 

In diese Zeit fällt dann noch der Wechsel von der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenmedizin, mit dem weitere gewohnte und Stabilität gebende Strukturen wegfallen. Bei diesem Übergang besteht die Gefahr der medizinischen Unterversorgung: Junge Menschen gehen nicht mehr so regelmäßig zum Arzt oder nicht mehr zu den Spezialisten für ihre Erkrankung, sondern lassen sich hausärztlich versorgen. Im schlimmsten Fall fallen sie komplett aus der medizinischen Versorgung und haben erst wieder Kontakt zum Gesundheitswesen, wenn es zu akuten Verschlechterungen und Problemen kommt. Dieses Risiko steigt etwa bei einem unvorbereiteten, plötzlichen Wechsel oder bei jungen Menschen mit Problemen mit der Krankheitsakzeptanz, bei Schwierigkeiten, einen Weiterbehandler zu finden und Ähnlichem.

Familien sollten sich daher ab Beginn der Pubertät mit dem Thema Transition beschäftigen. Natürlich noch nicht mit dem Arztwechsel, aber mit der Verantwortungsübernahme des jungen Menschen für seine Gesundheit. Er/sie sollte sich mit seiner Krankheit auskennen, die Therapie weitgehend eigenverantwortlich durchführen und die Kontakte mit dem Behandlungsteam zunehmend selbst bestreiten. Spätestens mit 17 Jahren sollte dann der Arztwechsel eingeplant werden: Welche Hilfen sind vorher nötig? Wohin soll der Wechsel erfolgen?

Welchen Nutzen hat der Betroffene, wenn er den Transitionsprozess mitmacht – und nicht einfach nur zum Erwachsenenbehandler wechselt? Schließlich bedeutet Transition auch Aufwand für alle Beteiligten.

Der Transfer – also der rein administrative Vorgang des Arztwechsels – ist bei den meisten Krankheitsbildern aus sozialrechtlichen Gründen nötig. Pädiater können Leistungen nur bis zu dem Quartal abrechnen, in dem der Jugendliche 18 Jahre alt wird. Es stellt sich also nicht die Frage, ob man wechselt oder nicht, sondern nur die Frage, wie gut vorbereitet man wechselt. Ebenso muss die Verantwortung irgendwann von den Eltern an den jungen Menschen übergehen. Je besser der junge Mensch und die Familie vorbereitet sind, desto selbstbestimmter wird der Wechsel verlaufen, desto zufriedener werden alle Beteiligten sein und desto weniger Komplikationen wird es geben.   

Die Inanspruchnahme von Transitionsleistungen wie Jugendschulungen sind letztlich Investitionen in die Zukunft, damit der junge Mensch sich zukünftig selbst und kompetent um seine Gesundheit kümmern kann. 

Was sind die größten Herausforderungen für chronisch kranke Jugendliche sowie deren Familien im Transitionsprozess? Und wie unterscheidet sich der Transfer von der Transition? Was sind die wesentlichen Eckpunkte?

Jugendliche müssen akzeptieren, dass die Krankheit ein dauerhafter Begleiter bleiben wird. Sie müssen prüfen, inwieweit es für sie Besonderheiten in relevanten Lebensbereichen gibt (z. B. Familienplanung, Berufswahl, Alleinleben). Dies fällt ihnen häufig schwer, weil sie ganz „normal“ sein wollen, so wie andere auch und das Thema häufig ausblenden.

Außerdem müssen sie lernen, dass im Erwachsenenbereich viel Selbstständigkeit und Eigenverantwortung von ihnen gefordert wird. Es wird ihnen nicht mehr so viel abgenommen wie in der Pädiatrie. Terminvereinbarungen, die Überprüfung des Medikamentenvorrats, die eigene Information, wenn es Probleme gibt, ebenso wie die Artikulation von Wünschen müssen sie nun selbst in die Hand nehmen.

Eltern müssen lernen, ihren Kindern zu vertrauen und ihnen das Feld zu überlassen. Sie müssen akzeptieren, dass der junge Mensch seine eigenen Prioritäten setzt und Dinge anders macht, als sie es tun würden.   

Was macht eine gelungene Transition aus und wie können sich Jugendliche gut auf den Wechsel vorbereiten? Was sind die größten Schwierigkeiten und Probleme, von denen Jugendliche Ihnen berichten?

Eine gute Transition ist durch Struktur und frühzeitige Planung gekennzeichnet. Sie sollte aus meiner Sicht wie folgt ablaufen:

  1. Bestandsaufnahme, was der junge Mensch bereits kann und was seine Ziele sind (ab Beginn der Pubertät, ggf. später wiederholen).
  2. Schrittweiser Aufbau von Fertigkeiten dafür (z. B. Patientenschulung, Vereinbarung zwischen Jugendlichen und Eltern zum Therapiemanagement, Einbeziehen in die Sprechstunde)   .
  3. Ggf. individuelle Beratung zu sozialrechtlichen oder beruflichen Fragen.
  4. Planung des Arztwechsels mit dem pädiatrischen Team (ca. ein Jahr vor dem Wechsel).
  5. Erstellen einer strukturierten Abschlussberichts (Epikrise, die Beschreibung und Beurteilung des Erkrankungsverlaufs).
  6. Bei Bedarf: Fallkonferenz oder Übergangssprechstunde .
  7. Ausführliches Gespräch mit dem übernehmenden Team.
  8. Bei Bedarf: Begleitung und Sicherung des gesamten Prozesses durch ein Fallmanagement, das von einem Transitionscoach geleitet wird.

Viele Probleme auf Patientenseite habe ich bereits genannt. Übergreifend hört man häufig von folgenden Problemen mit dem Wechsel:

Sie bilden auch Transitionscoaches aus. Welche Fähigkeiten sollten Interessenten bereits mit in die Ausbildung bringen?

Die Transitionscoaches werden zusammen mit dem Kindernetzwerk ausgebildet. Es handelt sich um Personen aus der Selbsthilfe, die selbst oder mittelbar von der Erkrankung betroffen sind. Sie sollen Gleichbetroffene bei Problemen oder bei der Planung der Transition beraten. Zudem sollen sie Transitionsangebote in ihrer Selbsthilfe planen und organisieren. Voraussetzung ist Interesse am Thema, ausreichend Distanz zu seiner eigenen Geschichte, Bereitschaft, sich auf andere offen einzulassen, und gewisse kommunikative Kompetenzen. Wissen, Beratungskompetenzen und Strategien werden dann während der Ausbildung vermittelt und vertieft.    

Inwiefern machen sich Unterschiede zwischen Transitionen mit und ohne Coach bemerkbar? Wie ist das Feedback von Betroffenen, Angehörigen, Behandelnden?

Die Transitionscoaches können dazu beitragen, dass Familien nicht überraschend mit dem Thema konfrontiert werden und daher besser vorbereitet sind. Die Familien kennen durch die Coaches die vorhandenen Angebote und werden sich eher dafür einsetzen, sie zu bekommen. Sie können bei psychosozialen Problemen niederschwellig und auf Augenhöhe beraten, und den Eltern Sorgen und Ängste nehmen.

Wenn Sie Jugendlichen einen Tipp zur Transition geben dürften? Was würden Sie ihnen raten?

Das Thema nicht auf die lange Bank schieben, sondern sich frühzeitig kümmern! Die Transition als Chance sehen, seine Gesundheit und sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Weitere Infos zum Thema „Transition“ findest Du auf den beiden Websites, die Dr. Ernst betreibt sowie in der S3-Leitlinie der Gesellschaft für Transitionsmedizin:

Für Eltern:
Between Elterncoach

Für Jugendliche:
between-kompas – Bist du fit für den Wechsel?

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