Der Morgen, der mein Leben auf den Kopf stellte
Ich war seit einigen Tagen krank, hatte Halsschmerzen und war richtig groggy. Daher war ich bei meinen Eltern in meinem Jugendzimmer. Ich war den ganzen Tag müde und bin früh ins Bett gegangen. Am Morgen bin ich erwacht und hatte das Gefühl, dass ich nicht allein im Bett liege. Ich spürte etwas Fremdes auf meinen Armen und Beinen. An Aufstehen war nicht zu denken. Ich versuchte meine Mutter zu rufen, doch ich konnte nicht richtig sprechen. Daher versuchte ich, irgendwie Geräusche von mir zu geben.
Diese hat sie zum Glück gehört und nach mir geschaut. Das Nächste, was ich mitbekam, war, dass der Hausarzt bei uns in der Wohnung war und mich untersuchte. Es wurde viel gesprochen, mir kam das alles spanisch vor. Dann kam der Krankenwagen.
Diagnose: Hirnblutung
Einige Zeit später öffnete ich die Augen und stellte fest, dass ich mich im Krankenhaus in einem Bett befand. Schläuche waren an meinem Kopf fixiert, ich hatte Infusionsnadeln im Arm, und am Ständer hingen einige Tropfinfusionen. Die Schwestern sprachen mit mir, ich merkte, dass ich nicht richtig sprechen konnte und brachte gerade raus, dass ich Durst oder Hunger hatte oder zur Toilette musste.
Irgendwann wurde eine Untersuchung von einem Arzt durchgeführt, der einige Tests mit mir gemacht hat. Er hat z. B. auf einen Wecker gezeigt und gefragt, was das ist. Ich wusste zwar, dass das ein Wecker ist, doch ich konnte das Wort „Wecker“ nicht aussprechen. Dann musste ich von 100 rückwärts zählen. Ich sagte „100“ und dann war ich schon fertig, denn Rechnen war gar nicht möglich. Nach sieben Tagen wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Ich weiß noch, dass der Doktor zu meiner Mutter sagte: „So, wir haben jetzt alles gemacht. Jetzt müssen Sie selbst schauen.“ Eine Rehabilitation oder sonstige unterstützende Maßnahmen wurden uns damals nicht angeboten und wir haben darauf vertraut, was der Arzt uns gesagt hat. Deshalb haben wir das mit den ganzen Übungen zum wieder fit werden selbst in die Hand genommen. Rückblickend war das aber schon etwas seltsam.
Einiges musste ich neu lernen
Zu Hause bei meinen Eltern habe ich viele Notizblätter mit dem Einmaleins gefüllt, Zahlenaufgaben gelöst, in einem Bilderlexikon Bilder angeschaut, abgelesen, was das Bild darstellt, und es immer wieder nachgesprochen. Die Wochen vergingen, und das Sprechen und Rechnen wurde immer besser. Was mich im Nachhinein sehr gewundert hat, war, dass mich das ganze gar nicht so sehr gestresst hat. Irgendwie kam es mir normal vor, in diesem Zustand zu sein.
In dieser Zeit haben wir einen Besuch in der Firma gemacht, in der ich als Maschinenkonstrukteur angestellt war. Dort habe ich mir einen Konstruktionsplan angeschaut, den ich vor der Blutung gezeichnet hatte. Was ich sah, war für mich sehr erschreckend, denn ich verstand nicht, was das darstellen sollte. Das war ein großer Schock.
Dank der Übungen, die ich zu Hause selbständig machte, hat sich das Zahlenverständnis, Rechnen und Sprechen immer mehr gebessert. So konnte ich nach vier Wochen wieder Auto fahren und nach sechs Wochen wieder arbeiten gehen sowie allein wohnen.
Was war eigentlich passiert?
Die Röntgenbilder im Krankenhaus zeigten: Ich hatte eine Hirnblutung. Auf der linken Seite zwischen Schädel und Gehirn hatte ich einen Bluterguss, der das Gehirn zusammengedrückt hat. Das hatte zur Folge, dass die ganze rechte Körperhälfte gefühllos wurde. Deswegen hatte ich an dem Morgen, als ich aufgewacht, bin das Gefühl, jemand liegt bei mir im Bett. Dabei habe ich nur meine eigenen, gefühllosen rechten Körperteile auf den noch fühlenden linken gespürt.
Der Hausarzt hat aufgrund der halbseitigen Gefühllosigkeit und weil ich nicht sprechen konnte auf etwas sehr Gefährliches getippt und mich vorsichtshalber als Notfall ins Krankenhaus einliefern lassen. Da schlechtes Wetter war, wurde ich mit dem Krankenwagen und nicht mit dem Helikopter ins Krankenhaus gebracht.
Nach dem Röntgen und der Diagnose „Hirnblutung“ wurden mir zwei Löcher in den Schädel gebohrt, um das Blut rauszulassen und den Druck zu reduzieren. Ich bekam viel von einem Medikament, welches die Blutung recht schnell stoppte, und hatte weiterhin Schläuche am Kopf, welche die Flüssigkeit abtransportierten. Nach einigen Tagen wurden die Schläuche entfernt. Als der Druck im Schädel dann weg war, hatte ich wieder Gefühl in der rechten Körperhälfte und konnte nach zwei Tagen auch wieder gehen.
Wie es zu der Hirnblutung mit Hämophilie A gekommen ist, kann ich nur vermuten. Ich weiß, dass ich mir mal beim Aussteigen aus dem Auto den Kopf ein wenig angestoßen habe, aber ob das der Auslöser war oder nicht, kann ich nicht sagen. Nach ein paar Tagen wurde ich dann krank und hatte starke Halsschmerzen, ähnlich wie eine Angina. Auch der Arzt meinte, dass es eine Angina ist. Ich war ein paar Tage im Bett und dann kam dieser spezielle Morgen. Ob das „Krank sein“ eine Reaktion des Körpers auf die Blutung war, kann ich nur vermuten. Aber da keine Medikamente ansprachen, wäre das durchaus möglich.
Glück im Unglück
Einen Monat nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gab es noch eine Kontrolluntersuchung. Diese zeigte, dass sich alles positiv entwickelt hatte. Eine weiterführende Therapie, weitere Untersuchungen oder Unterstützung gab es keine. Der Fall war abgeschlossen.
Ich bin froh, dass ich selten bis nie Kopfschmerzen habe, da mich das wohl sehr belasten würde. Da wäre immer die Angst: Sind das einfach Kopfschmerzen oder ist es wieder eine Hirnblutung?
Im Nachhinein bin ich auch sehr froh, dass ich alles recht schnell wieder auf die Reihe bekommen habe. Jedoch habe ich auch heute noch ab und zu das Gefühl, dass ich gewisse Wörter einfach nicht rausbringen kann. Ich weiß, wie etwas heißt, aber ich kann es einfach nicht aussprechen. Auch wenn ich es mehrfach versuche, es geht einfach nicht. Wenn ich es ablesen kann und eventuell noch etwas Hilfe habe, geht es meistens dann doch. Ansonsten bin ich eigentlich sehr zufrieden, wie sich das ganze entwickelt hat und kann mein Leben „normal“ leben.
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