Wie kamt Ihr auf die Idee, Wintersport zu machen?
Marc: Im Februar 2025 waren wir – nach guter Planung und Vorbereitung – der Meinung, dass es Zeit für unser Kind ist (damals 5 Jahre alt), die alpine Bergwelt kennenzulernen. Den Stein ins Rollen brachte mein Bruder, der uns fragte, ob wir Lust auf einen gemeinsamen Skiurlaub hätten. Mich packte nach gut 10 Jahren Abstinenz wieder die Lust aufs Skifahren und auch meine Frau hatte ebenfalls großes Interesse, es einmal auszuprobieren.
Marcel: Bei uns war es vermutlich eine Mischung aus kindlicher Begeisterung, unserem eigenen Bewegungsdrang und einer ordentlichen Portion Naivität. Man muss an der Stelle sagen, dass wir mit Moritz eigentlich zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter körperlich aktiv sind. Ob Matsch, Regen, Sonnenschein oder Frost, wir sind draußen. Aber richtigen Wintersport oder gar Winterurlaub hatten wir vorher noch nie gemacht. Was wir allerdings kennen, sind lange Spaziergänge im Schnee und die obligatorischen Schneeballschlachten, bei denen früher oder später ein unbeabsichtigtes weißes Geschoss in meinem Gesicht landet …
Wie habt ihr entschieden, dass Eure Kinder körperlich bereit für ein Schneeabenteuer sind?
Marc: Unser Sohn war körperlich so bereit wie alle Kinder in seinem Alter, die das erste Mal in den Winterurlaub fahren. Fahrradfahren und sein Gleichgewicht zu halten, beherrschte er sicher. Ebenso wichtig wie die körperliche Bereitschaft war uns, dass unser Kind ein gesundes, altersgerechtes Gefahrenbewusstsein entwickelt hatte.
Marcel: Wir haben das gar nicht beurteilt. Moritz hat uns die Entscheidung gnadenlos abgenommen. Mit drei Jahren stand der Schlitten ganz oben auf seiner Weihnachtswunschliste.
Welche Wintersportarten habt ihr ausprobiert?
Marc: Tatsächlich konnten wir alle Aktivitäten ausprobieren, die einen tollen Winterurlaub ausmachen: lange Schneespaziergänge, Abhänge runter rodeln, eine Kutschfahrt durch den verschneiten Ort und sogar die ersten selbstständigen Schwünge auf Skiern auf der Kinderpiste.
Denn nach etlichen Probeläufen an der Hand (ähnlich wie beim Fahrradfahren) kam dann irgendwann der Punkt, an dem wir unseren Sohn loslassen mussten und einfach vertrauen mussten, dass das schon klappt. Denn das ist enorm wichtig für das Selbstbewusstsein und das Erfolgserlebnis. Und es hat geklappt! Wir hatten jede Menge Spaß und einen tollen Urlaub!
Marcel: Ein paar Wochen nach Weihnachten fiel dann tatsächlich genug Schnee, um den Schlitten einzuweihen. Wir wohnen in einem dieser klassischen (Kuh)Dörfer, umgeben von Feldern, Hügeln und ein paar dieser steilen Feldwirtschaftswege, die einem schon Respekt einflößen können. Wir stapften also diesen Weg hinauf. Ob wir uns unsicher fühlten? Natürlich. Als Eltern eines Kindes mit schwerer Hämophilie fühlt man sich selten zu 100 Prozent sicher – schon gar nicht mit einem potenziellen Hochgeschwindigkeitsgerät aus Holz und Metall.
Die erste Abfahrt war mit seiner Mama. Die beiden wurden in meinem Sichtfeld immer kleiner und ich hörte sie quieken und ihn jubeln. Sie kamen lachend unten an. Dann wollte Moritz mit mir fahren. Also liefen wir ein Stück weiter auf ein großes freies Feld mit einer steilen, langen Abfahrt, ich glaube so 200 bis 300 Meter. Ich sagte zu ihm: „Wir sind wahnsinnig.“ Er antwortete trocken: „Wir sind gleich wahnsinnig schnell!“ Dann ging’s los. Und was soll ich sagen? So ein Schlitten hat keine Bremse. Das in der Theorie zu wissen und dann in der Praxis festzustellen – das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Wir wurden immer schneller, der Wind zog, Moritz lachte und jubelte, ich betete innerlich zu sämtlichen mir bekannten Gottheiten und wir kamen heil unten an.
Aber es war toll und wir hatten unfassbar viel Spaß. Nach einigen weiteren Abfahrten merkten wir, dass wir die Hämophilie kurz vergessen hatten. Nicht verdrängt, aber sie war für diesen Moment nicht präsent in unserem Alltag. Sie fuhr zwar mit, aber sie saß eben nicht mehr am Steuer. Und wenn das im Alltag passiert, fühlt sich das angenehm befreiend an.
Die Abfahrten liefen gut, wir waren euphorisch und stolz. Und dann, wie es im Leben mit Kindern oft ist, ging doch noch etwas schief. Der Unfall passierte nicht auf dem Berg, sondern auf den letzten Metern vor der Haustür. Moritz saß auf dem Schlitten und irgendwie fiel er – mit der Stirn voran auf den Asphalt. Wir wussten sofort, das müssen wir abklären lassen. In der Klinik bekam er eine Notfallmedikation und wir mussten eine Nacht zur Überwachung bleiben. Es war nicht dramatisch, aber es war notwendig. Körperlich ging es ihm schnell besser und er war wieder schnell auf den Beinen. Und das Wichtigste: Er hat den Spaß am Schnee und am Schlitten nicht verloren.
Welche Überlegungen und Bedenken hattet Ihr hinsichtlich der Sicherheit?
Marc: Sicherheit war natürlich das große Thema – sowohl bei der Planung als auch vor Ort. Im Vorfeld haben wir nach Skigebieten geschaut, die kleiner und familiär geprägt sind, die primär auf Anfänger ausgerichtet sind und mit medizinischen Einrichtungen in der Nähe (für den Fall der Fälle).
Bei der Wahl der Schutzausrüstung und vor allem beim Helm haben wir uns fachmännisch beraten lassen und keine Kompromisse gemacht. Vor Ort haben wir uns an die jeweiligen Aktivitäten herangetastet und es situativ von der Tagesform unseres Kindes abhängig gemacht, welcher Aktivität wir nachgehen wollten. Der Morgen bietet sich dabei für Aktivitäten an, bei denen mehr Konzentration gefordert ist, und der Nachmittag für ruhigere Unternehmungen wie eine Kutschfahrt. Zudem haben wir die Schneeverhältnisse berücksichtigt: War der Schnee zu eisig, haben wir es gelassen.
Sehr hilfreich war es auch, mit meinem Bruder noch zwei helfende Hände dabei zu haben, sodass unser Kind bald den Kinderhügel allein meistern konnte – was ihm nicht nur Spaß machte, sondern auch sichtlich stolz.
Marcel: Sicherheit spielt bei uns wegen der Hämophilie eine große Rolle. Also haben wir uns mit einem fast schon wissenschaftlichen Ehrgeiz durch diverse Schlittenmodelle gewühlt. Schließlich ist die Wahl aber auf ein Modell gefallen, das uns ein gutes Gefühl gegeben hat – stabil, solide, hochwertige Verarbeitung, keine wackeligen Schrauben und mit Metallkufen. Winterbekleidung ist unser zweiter wichtiger Faktor. Ein guter Schneeanzug, strapazierfähige Handschuhe und schneetaugliches, festes Schuhwerk sind für uns Pflichtprogramm.
Was sind Eure Tipps für andere Familien mit hämophilen Kindern?
Marc: Wir können Euch diese Abwechslung vom Alltag wärmstens ans Herz legen, auch wenn sie mitunter etwas mehr Planung erfordert als ein klassischer Strandurlaub. Für uns war es eine wertvolle Erfahrung, die uns als Familie zusammengeschweißt hat und unserem Kind ein neues Stück Selbstständigkeit und Stolz gegeben hat.
Marcel: Wichtig ist, Euer eigenes familiäres Tempo zu finden. Hämophilie ist Teamwork und Familienangelegenheit. Lonely Wolf-Verhalten ist fehl am Platz. Fragt bei Unsicherheiten Euer Netzwerk und Euer Hämophilie-Zentrum. Fangt vielleicht klein an. Denkt an gute Ausrüstung, das gibt Sicherheit. Bleibt flexibel und akzeptiert, wenn Euer Kind vielleicht nicht will. Aber ganz wichtig: freut Euch! Der Winter kann toll sein – auch (und gerade mit) Hämophilie.
Und hier noch ein paar Tipps, wie ein Wintersporttag bei uns aussieht:
Mögliche Aktivitäten: Schlittenfahrten, Schneeballschlachten, Schneemann bauen, Schneespaziergänge (mit Pausen) und Schneeengel machen
Richtig packen: Notfallmedikation, Handy, Kontaktdaten vom Hämophilie-Zentrum, Ersatzkleidung, Snacks & Getränke
Vor Ort: sich mit Umgebung und Schneebeschaffenheit vertraut machen und die Gruppendynamik checken – Wie sind andere Kinder drauf? Das kann einen entscheidenden Unterschied für die Sicherheit machen.
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