Der lange Weg zu Kindergartenplatz und Integrationshilfe

Der lange Weg zu Kindergartenplatz und Integrationshilfe

Die Suche nach einem Kindergartenplatz ist ja häufig etwas holprig – etwas holpriger kann es werden, wenn man ein Kind mit schwerer Hämophilie versucht anzumelden. Hier erzähle ich von unserer Odyssee und unseren Erfahrungen mit der Integrationskraft.

Prolog

Ich vergesse niemals den Blick der Kindergärtnerin, der klar signalisierte: Mit einem hämophilen Kind braucht ihr uns erst gar nicht in die Krippe zu kommen.

Irgendwann nervten die Absagen diverser Kindergärten ungemein, und wir fingen an zu verzweifeln. Aber das Schlimmste an der Sache war: Man sprach nie offen aus, dass ein Kind mit schwerer Hämophilie nicht gewollt ist, sondern man versuchte es stets plausibel zu begründen. Am einfachsten für die Kindergärten war der Wartelisten-Trick: „Wir melden uns, wenn was verfügbar wird. Aber Sie wissen ja, in der derzeitigen Lage kann das ewig dauern.“

Wir wohnen auf dem Dorf und dann auch noch im Saarland. Der Spruch „jeder kennt jeden“, trifft hier voll zu. Wenn Kinder aus der Nachbarschaft einen Platz bekamen, die sich weitaus später im Kindergarten bzw. der Krippe anmeldeten als wir, dann stieß uns das doch schon sehr bitter auf!

Im folgenden Beitrag schildere ich unsere Erfahrungen im Umgang mit dem Kindergartenplatz und der Integrationshilfe. Der Einfachheit halber schreibe ich im Beitrag allgemein von Kindergartenplatz, womit ich dann auch die Krippe meine.

Die Suche nach einem Kindergartenplatz. Eine Odyssee nimmt ihren Anfang.

Die Möglichkeit, eine Integrationskraft zu beantragen, war uns bekannt, hierüber klärte uns unser Hämophilie-Zentrum schon im Rahmen der Schwangerschaft auf. Der Gedanke an zusätzliche Unterstützung war für uns an diesem Punkt aber vorerst zweitrangig, wir mussten erst mal einen Kindergarten finden, der die Hämophilie akzeptierte.

Im Saarland gilt die Regelung, dass man nur im eigenen Landkreis einen Kindergartenplatz beantragen kann. Da damals noch Covid den Alltag bestimmte, konnte man sich nicht alle Kindergärten anschauen und wenn doch, dann war der direkte Kontakt stark eingeschränkt.

Der Kontakt zum örtlichen Kindergarten lief ausschließlich telefonisch. Es war ein sympathisches Telefonat, aber als ich erwähnte, dass unser Sohn an schwerer Hämophilie leidet und erklärte, was genau das bedeutet, merkte ich die Verunsicherung am anderen Ende der Leitung. Wir kamen auf die Warteliste, man werde sich bei uns melden, sobald ein Platz frei werde.

Besser nicht gleich zu Beginn von der Hämophilie erzählen.

Nun änderten wir unsere Taktik und bei den folgenden Kindergärten erzählten wir im telefonischen Erstgespräch erst mal nicht sofort von der Hämophilie. In der Nachbarkommune bekamen wir bei einem Kindergarten ein Kennlerntreffen mit Führung angeboten. Das Treffen war nicht so berauschend, denn es gab einen Sammeltermin mit anderen Interessenten, was ganz allgemein schon eine unangenehme rivalisierende Atmosphäre erzeugt. Aber Augen zu und durch.

Als wir uns mit „Die mit der Hämophilie“ vorstellten, spürte man schon förmlich die Absage im Nacken, gefolgt von den entsetzten Blicken der umgebenden Community. Natürlich kamen wir auf die Warteliste. Die formelle Absage folgte ca. 3-4 Monate später, was komisch war, denn wir standen ja auf einer Warteliste. Aber hier mache ich mit den Absagen einen Cut, denn prinzipiell war es immer das gleiche Spiel.

Der Kindergarten eines kirchlichen Trägers in einem anderen Kreis war vielversprechend.

Ein paar Ortschaften weiter gab es einen sehr kleinen Kindergarten, der allerdings grenztechnisch betrachtet nicht mehr in unserem Landkreis lag. Es handelte sich um einen kirchlichen Träger und wir dachten uns, „fragen kostet nichts“. Bei unserer Anfrage im Vorfeld machten wir schon reinen Tisch und erzählten im Telefonat viel über Hämophilie sowie die bereits erfahrene Ablehnung. Und tatsächlich bekamen wir einen Termin bei der Kindergartenleitung.

Das Treffen mit dem Kindergarten-Team war sehr angenehm, und die Leitung stellte uns bezüglich der Hämophilie viele Fragen. Bereits in diesem Gespräch teilten wir mit, dass wir eine Integrationskraft beantragen wollten, und auch, dass die Hämophiliespezialistin unseres Hämophilie-Zentrums anbot, den Kindergarten im Umgang mit der Erkrankung kostenlos vor Ort zu schulen.

Positive Überraschung: ehrliche Aussprache erwünscht.

Die Kindergartenleitung machte keine Zu- oder Absage – wir kamen dieses Mal aber auch nicht auf irgendeine Warteliste. Sie sagte, Sie wolle mal mit Ihrem Team allgemein darüber sprechen und die Meinung des Teams einholen, wie diese zu dem Thema stehen. Im gleichen Zuge vereinbarte sie aber mit uns einen Zweittermin und betonte, ihr sei eine ehrliche Aussprache sehr wichtig.

Im Zweittermin passierte etwas, das ich von der Kindergartenleitung als unheimlich mutig und ehrlich empfand: Sie teilte uns mit, sie habe Ängste vor der allgemeinen Situation und der Herausforderung im Umgang, wenn etwas passieren sollte. Ebenfalls fühlte sie sich verunsichert mit der Situation. ABER man sei bereit, uns einen Platz anzubieten, wenn wir eine Integrationshilfe beantragen würden, die unseren Sohn im Alltag begleitet. Sie habe bei dem kirchlichen Träger bereits einen Antrag für eine Ausnahmeregelung gestellt, um die Grenzblockade zu umgehen, und dieser sei auch schon positiv beschieden worden. Das Angebot des Hämophilie-Zentrums werde man ebenfalls dankend annehmen. Wir waren sichtlich froh und erleichtert.

Jetzt galt es eine Integrationshilfe zu beschaffen.

Über die Lebenshilfe haben wir beim Landesamt für Soziales den Antrag für die Integrationshilfe gestellt, was sich als relativ unkompliziert gestaltete, auch weil die Lebenshilfe uns hier unheimlich gut unterstützte. Nur beim Landesamt gab es etwas Diskussionen rund um die Genehmigung des Umfangs, denn man verglich die Hämophilie an der Stelle immer mit Diabetes und verstand nicht, dass eine häusliche Pflege bei Hämophilie notwendig ist. Sprich, das Landesamt für Soziales kannte sich mit Hämophilie nicht aus, und es gab anscheinend auch keinerlei Erfahrungswerte.

Nach mehreren Mails, Telefonaten und Aufklärungsgesprächen unsererseits, wurde der Antrag schließlich genehmigt. Zugesprochen wurde uns eine Hilfskraft sowie eine Fachkraft zu jeweils unterschiedlichen Teilen. In unserem Fall begleitete eine Hilfskraft unseren Sohn an vier Tagen der Woche und eine Fachkraft an einem weiteren Tag.

Die Unterstützung der Integrationshilfe ist Gold wert.

Die Integrationshilfen sind ein echter Segen, denn von Anfang an gaben sie unserem Kindergarten – aber auch uns als damals junge Eltern – Sicherheit. Sie nahmen einen gewissen gefühlten Druck der Verantwortung von dem Kindergartenpersonal, welches sie durch ihre Unterstützung zusätzlich entlasteten. Schön zu sehen war auch, wie unser Sohn und unsere Integrationskräfte eine starke Bindung zueinander aufbauten. So freuen sich beide Seiten täglich, sich zu sehen, was meist mit einer herzlichen und innigen Umarmung einhergeht.

Mittlerweile hat sich alles gut eingespielt, und von Verunsicherung ist im Kindergarten überhaupt nichts mehr zu spüren. Auch wenn die Integrationskraft mal erkrankt, darf unser Sohn trotzdem kommen. Die Notfallmedikation wird im Kindergarten hinterlegt und das Kindergartenpersonal weiß genau was zu tun ist, sollten gewisse Ereignisse es verlangen. Unser Sohn wird im Kindergarten nicht als „der Kranke“ betrachtet. Er darf alles mitmachen und ist in seiner Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt.

Eine kurze Kommunikationskette schafft Sicherheit.

Wir versuchen dem Kindergarten immer zu signalisieren: „Es ist nicht schlimm, wenn was passiert, sondern uns ist wichtig, dass dann richtig und ohne zu zögern gehandelt wird.“ Dazu haben wir eine kurze Kommunikationskette, so kann der Kindergarten mich und meine Frau jederzeit über das Mobiltelefon oder auf der Arbeit erreichen.

So freut es uns, dass er jeden Mittwoch am Kindergartensport teilnehmen kann, wo die ausgebildete Integrationsfachkraft immer mit dabei ist. Uns ist das wichtig, da wir ihn nicht in Watte packen wollen. Er soll und muss lernen, mit seinem Körper umzugehen. Er muss lernen, sich richtig abzufangen, wenn er stürzt, wie er die Geschwindigkeit richtig einschätzt und abbremst beim Rennen oder wie er sich bei Sprüngen richtig abfedert.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine Integrationskraft macht definitiv Sinn. Sie gibt dem Umfeld die notwendige Sicherheit und entlastet nicht nur physisch, sondern alle Beteiligten auch psychisch. Und auch wenn ich klarstellen muss, dass die Integrationskraft kein Wundermittel ist, das einen Sturz oder eine Verletzung beim Spielen verhindert – so kann sie doch die Risiken reduzieren.

Epilog: Achtung! Hier kommt noch abschließend eine wichtige Info!

Die Zeit vergeht wie im Flug und mittlerweile läuft alles einwandfrei – außer neuerdings die Anträge für die Integrationskraft.

Im Saarland wollen weder das Landesamt für Soziales noch die Krankenkassen die Kosten übernehmen. So tragen beide Institutionen mittlerweile einen Rechtsstreit um die Kosten auf dem Rücken unseres Sohnes aus. Nur mit viel Druck unsererseits und der Unterstützung unseres Hämophilie-Zentrums wurde der Antrag – unter Vorbehalt – vom Landesamt für Soziales genehmigt.

Durch den Austausch mit anderen Betroffenen aus anderen Bundesländern haben wir teilweise die gleichen Rückmeldungen erhalten. Manche mussten hier wohl sogar mit einem Rechtsanwalt tätig werden, um sich die Integrationshilfe einzuklagen. Für uns war das sehr nervenaufreibend, da wir erst knapp eine Woche, bevor unsere Integrationskraft vertraglich auslaufen sollte, die Rückmeldung der Verlängerung bekamen – und das auch nur nach mehrwöchigem Kampf unsererseits. Leider muss man sich im Vorfeld darauf einstellen, dass der Antrag eventuell nicht einfach so genehmigt wird, je nach Bundesland.

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