junge Frau macht Herz mit Händen

Disability Paradox & Hämophilie: Zufriedenheit ist gut, Zero Bleeds ist besser

„Mir geht’s gut – auch wenn mein Körper nicht immer mitspielt.“ Viele Menschen mit Hämophilie erleben genau das: Die Gelenke schmerzen, Blutungen machen Probleme, sie schränken sich aufgrund der Hämophilie in ihren Aktivitäten ein – und trotzdem sagen sie voller Überzeugung, dass es ihnen gut geht. Wie kann das sein?

Disability Paradox – schon mal gehört?

Was auf den ersten Blick widersprüchlich klingt, hat einen Namen: das sogenannte Disability Paradox. Doch was genau bedeutet das?

Info

Disability Paradox bezeichnet das Phänomen, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen oder dauerhaften Einschränkungen eine hohe Lebenszufriedenheit angeben – obwohl ihre objektive Krankheits- und Therapielast eigentlich erheblich ist. Dieses Paradox entsteht oft dadurch, dass Betroffene ihre Prioritäten neu ausrichten, sich an Einschränkungen anpassen und ihr Leben entsprechend gestalten.

Auch bei Hämophilie zeigt sich dieses Phänomen deutlich. Viele Betroffene erleben Einschränkungen wie Schmerzen oder eine reduzierte Beweglichkeit. Manche schränken ihre Aktivitäten aufgrund der Hämophilie ein und ziehen sich aus ihrem sozialen Leben sogar komplett zurück. Doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran und definiert diese Situation als „neues Normal”. Dadurch werden die Einschränkungen oft nicht mehr als zentrales „Problem“ wahrgenommen – und die Lebensqualität als uneingeschränkt hoch bewertet. 

Ein Beispiel: Vielleicht kannst Du wegen Deiner Gelenke nicht mehr jeden Sport machen, den Du liebst. Aber anstatt Dich davon runterziehen zu lassen, findest Du Alternativen – Schwimmen, Radfahren oder Spaziergänge – und spürst, dass es Dir trotzdem gut geht. Genau dies macht das Disability Paradox so besonders. 

Was viele Betroffene im Alltag erleben, spiegelt sich auch in der Forschung wider. Denn auch eine US-amerikanische Studie mit 1.327 Teilnehmenden, darunter 177 Personen mit Hämophilie, zeigte, dass hämophile Menschen oft von einer höheren Lebensqualität berichten, als man im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erwarten würde. Die Ergebnisse legen nahe, dass auch in dieser Patientengruppe das Disability Paradox eine Rolle spielt.¹ Gleichzeitig weisen die Autorinnen und Autoren darauf hin, dass dadurch die tatsächliche Belastung durch Hämophilie möglicherweise unterschätzt wird und Behandlungseffekte nicht richtig bewertet werden. Viele Betroffene haben ihre Erwartungen, Bedürfnisse und Prioritäten im Laufe der Zeit an die Erkrankung angepasst¹ – was das Bild nach außen verzerren kann. 

Zero Bleeds – mehr als ein gutes Gefühl

Das Disability Paradox zeigt also: Viele Menschen mit Hämophilie fühlen sich zufrieden – selbst dann, wenn sie regelmäßig Blutungen erleben oder körperliche Einschränkungen spüren. Was auf den ersten Blick positiv klingt, kann aber auch Risiken bergen: Blutungen oder andere Symptome werden möglicherweise nicht mehr ernst genommen. Wer sich subjektiv „gut“ fühlt, hat zudem oft weniger Motivation, die eigene Situation aktiv zu verbessern oder die Belastung durch die Erkrankung zu reduzieren. Dabei geht es nicht nur um die Optimierung der medikamentösen Therapie – auch Maßnahmen wie Physiotherapie, Bewegungstraining, psychologische Unterstützung oder Anpassungen im Alltag können entscheidend sein, um die Lebensqualität langfristig zu sichern und Folgeschäden zu vermeiden

Genau hier setzt das Konzept Zero Bleeds an – eines der großen Ziele in der Hämophilie-Behandlung. Zero Bleeds geht über das subjektive Wohlfühlen hinaus, weil es einen klaren, messbaren Zielpunkt bietet: keine Blutungen mehr. Denn jede Blutung hinterlässt Spuren. Auch kleine oder scheinbar harmlose Blutungen können auf Dauer Schäden an den Gelenken verursachen. Das Tückische: Du fühlst Dich gut, obwohl sich Deine Gelenke schon unbemerkt verändern. 

Zero Bleeds macht deutlich, worum es langfristig wirklich geht – um gesunde Gelenke, weniger Schmerzen und eine möglichst hohe Lebensqualität. Denn auch wenn Du Dich heute gut fühlst oder Deine Situation nicht gerne verändern magst, lohnt es sich, an die Zukunft zu denken und sich über neue Therapiemöglichkeiten auf dem Laufenden zu halten, sodass Blutungen bestmöglich vermieden werden können. 

Deshalb gilt: Zero Bleeds ist mehr als nur eine Zahl – es ist ein klares Ziel, um Deine Gelenke dauerhaft zu schützen. Erreichen kannst Du dieses Ziel durch eine Prophylaxe, die optimal zu Dir passt und konsequent durchgeführt wird. So bleibt Dein Körper stark für das, was Dir wichtig ist – heute und in der Zukunft. 

Frag nach! So machst Du Zero Bleeds zu Deinem Thema

Natürlich ist es super, wenn Du Dich gut fühlst, aber es reicht eben nicht immer aus, wenn es um Hämophilie geht. Darum lohnt es sich, Dein persönliches Wohlbefinden regelmäßig zu hinterfragen und Deinen Zustand gegebenenfalls zu optimieren. 

Ein guter Weg ist, das Thema aktiv im Gespräch mit Deinem Behandlungsteam im Hämophilie-Zentrum aufzugreifen und Dich auch über die aktuellen Leitlinien zu informieren. Folgende Fragen können beispielsweise hilfreich sein: „Habe ich wirklich keine Blutungen – auch keine, die ich vielleicht gar nicht spüre?“ oder „Kann ich mein Therapieziel noch klarer definieren, z. B. Zero Bleeds?“ Solche Gespräche helfen, gemeinsam die Therapie zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. 

Dein Vorteil ist klar: Zero Bleeds kann helfen, Folgeprobleme wie Gelenkschäden oder Schmerzen zu vermeiden – und Deine Zufriedenheit langfristig zu sichern. Das Beste daran: Du hast es selbst in der Hand. Mit der für Dich richtigen prophylaktischen Therapie und klaren Zielen kannst Du Deine Zukunft aktiv mitgestalten – und Dir Deine Freiheit im Alltag erhalten. Kurz gesagt: Das Disability Paradox zeigt, dass die Krankheits- und Therapielast bei Hämophilie oft unterschätzt wird, weil sich viele Betroffene trotz Einschränkungen zufrieden fühlen. Das Ziel Zero Bleeds setzt hier an – denn es ist ein klares, messbares Therapieziel, das über das subjektive Wohlbefinden hinausgeht. Mach gemeinsam mit Deinen Ärztinnen und Ärzten den nächsten Schritt, um Blutungen konsequent zu vermeiden. So sicherst Du nicht nur Deine Gelenkgesundheit, sondern auch Deine Lebensqualität – heute und in Zukunft.

M-DE-00028013

1. O’Hara J et al. Evidence of a disability paradox in patient-reported outcomes in haemophilia. Haemophilia. 2021; 27(2):245–252 doi: 10.1111/hae.14278Evidence_of_a_disability_paradox_in_patient-report.pdf, p.6.