Welche Hämophilie-Therapie hast Du? Hand aufs Herz: Wendest Du sie immer so an, wie Du es solltest? Wenn ja, dann bist Du adhärent. Adhä-was? Kein Problem, hier kommt eine Erklärung:
Info
Adhärenz bezeichnet Deine Bereitwilligkeit, die gemeinsam mit Deinem Behandlungsteam abgestimmten Therapien und sonstigen Maßnahmen einzuhalten. Du hast eine aktive Rolle in der Therapieentscheidung eingenommen und setzt Eure gemeinsamen Entscheidungen um.
Compliance hingegen meint, dass Du die von Deinem Behandlungsteam für Dich festgelegte Therapie befolgst. In dieser Situation hast Du Dich nicht an der Therapieentscheidung beteiligt, sondern befolgst nur die Vorgaben von Deiner Ärztin bzw. Deinem Arzt.
Persistenz beschreibt, wie lange Du Deine Therapie konsequent wie vereinbart oder verordnet anwendest.
Vielleicht sagt Dir der Begriff „Therapietreue“ was? Das ist der deutsche Begriff für Adhärenz. Es bedeutet ganz einfach, dass Du Deiner Therapie treu bist. Du verabreichst Dir wie vereinbart Dein Medikament und hältst Dich auch an andere abgesprochene Maßnahmen, wie beispielsweise Physiotherapie oder einen Ernährungsplan.
Adhärenz ist ein neuerer Begriff in der Medizin. Früher wurde nur der Begriff „Compliance“ verwendet. Patientinnen und Patienten nehmen in diesem Szenario eine passive Rolle ein und befolgen einfach nur die verschriebene Behandlung. Das ist der große Unterschied zur Adhärenz, bei der Du die aktiv von Dir mit getroffene Therapieentscheidung umsetzt und so Verantwortung übernimmst.1
Darum solltest Du adhärent sein
Deine Adhärenz hat eine direkte Auswirkung auf die Effektivität Deiner Therapie und somit auch auf Deine Lebensqualität. Spritzt Du Dir regelmäßig Deine prophylaktische Therapie, ist der Wirkspiegel im Blut hoch genug, um Dich vor Blutungen und Verletzungen zu schützen.
Adhärenz1 …
- verringert Blutungsereignisse
- reduziert Gelenkblutungen und verhindert Zielgelenke
- verringert das Risiko für eine chronische Synovitis und hämophile Arthropathie
- erhält Deine Gelenkgesundheit
- reduziert das Risiko für Krankenhausaufenthalte und ihre Länge
- ermöglicht Dir mehr sportliche Aktivitäten
- erhöht Deine Lebensqualität
- verbessert Deine berufliche Leistungsfähigkeit
- verbessert das Kosten-Nutzen-Verhältnis Deiner Behandlung
Doch viele Hämophilie-Betroffene sind nicht adhärent. Die Adhärenz nimmt mit zunehmendem Alter ab und besonders in der Altersgruppe 20–59 Jahre lässt sie zu wünschen übrig. Bei Kindern ist sie hingegen gut, da Eltern bereit sind, die vereinbarte Therapie konsequent einzuhalten (s. Abbildung).1,2 Eltern neigen sogar eher mal dazu, einmal zu viel zu spritzen als zu wenig.3
Häufig vergessen Patienten, sich ihr Medikament zu spritzen oder wollen es auf später verschieben und vergessen es dann doch. Manche haben auch nicht das Gefühl, dass sie sich spritzen müssten, weil sie akut keine Probleme haben oder keinen sichtbaren Unterschied sehen, obwohl sie sich über einen längeren Zeitraum regelmäßig das Medikament verabreicht haben.3
Hierbei kann ein besseres Verständnis der eigenen Erkrankung Abhilfe schaffen. Denn wenn Du die Krankheitsmechanismen der Hämophilie verstehst und weißt, wie die verschiedenen Therapien wirken, kannst Du den Sinn und Nutzen einer Behandlung für Dich begreifen. Dann ist auch die Bereitwilligkeit zur Adhärenz höher. Unterstützt werden diese Prozesse des Verstehens durch das sogenannte „Shared Decision Making“ (SDM). Das bedeutet „gemeinsame Entscheidungsfindung“. Denn um eine fundierte Therapieentscheidung zu treffen, musst Du gut über Deine Möglichkeiten informiert sein. Greife hierbei nicht nur auf die Informationen Deines Behandlungsteams zurück, sondern informiere Dich auch selbst über Deine Erkrankung und Deine Optionen. Das hilft nicht nur bei einer ersten Therapieentscheidung, sondern auch bei allen folgenden, beispielsweise falls Du einmal Deine Therapie wechseln möchtest, weil Du nicht mehr ganz zufrieden bist. Ob das der Fall ist, kannst Du mit unserem Therapiecheck-Tool herausfinden.
Faktoren, die die Adhärenz beeinflussen
Ob eine Person adhärent ist, kann von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst werden. Diese werden in fünf Kategorien eingeteilt: 1,4
Die Chance, dass Du adhärent bist, steigt, wenn folgende Situationen gegeben sind:
- Du hast die Wirkweise und den Nutzen der Therapie verstanden und akzeptiert
- Die Therapie passt zu Dir und Deinem Leben
- Die Therapie ermöglicht Dir möglichst lange Therapieintervalle
- Die Therapielast ist nicht zu hoch
Auch die Verabreichungsart der Therapie spielt eine Rolle bei der Adhärenz. Eine Studie zeigte, dass Hämophilie-Patienten eine prophylaktische Therapie einer Bedarfstherapie vorziehen.5 Generell bevorzugen Patienten eine subkutane Applikation gegenüber einer intravenösen Verabreichung – vermutlich aus Zeit- und Komfortgründen.6 Auch Kinder sollten möglichst früh dran gewöhnt werden, sich selbst ihr Medikament zu verabreichen. Bei manchen Applikationsformen ist das einfacher als bei anderen. Das erhöht ihre Selbstständigkeit und die Akzeptanz für ihre Therapie.
Ein Faktor, welcher die Adhärenz negativ beeinflussen kann, ist die Dokumentationspflicht bei Hämophilie A.3 Nach dem Transfusionsgesetz muss jede Medikamentengabe dokumentiert werden.7 Dieses Sammeln von Daten soll die Hämophilie-Therapie verbessern, verursacht jedoch auch Aufwand für alle Beteiligten. Aufwand, den Patienten als lästig empfinden können.3
Was kannst Du bei mangelnder Adhärenz tun?
Hältst Du Dich immer an Deine Therapie? Wenn nein, welche Gründe gibt es dafür? Nur, wenn Du offen und ehrlich mit Deinem Behandlungsteam über Deine Situation und Deine Gründe für Deine Nicht-Adhärenz sprichst, könnt Ihr gemeinsam eine Lösung finden.
- Hast Du Probleme, zu verstehen, warum Du eine Therapie anwenden sollst? Dann lass Dir von Deinem Behandlungsteam noch einmal die genaue Wirkweise der Hämophilie-Medikamente erklären.
- Hast Du Angst vor Nebenwirkungen der Therapie? Besprich mit Deiner Ärztin oder Deinem Arzt, welche Nebenwirkungen auftreten können und was Ihr dagegen tun könnt. Mache Dir bewusst, dass die Folgen einer unbehandelten Hämophilie schlimmer sein können, als eventuelle Nebenwirkungen des Medikaments.
- Bist Du mit Deiner Therapie nicht zufrieden, weil Du das Gefühl hast, dass sie nicht wirkt oder die Verabreichung für Dich nicht optimal ist? Dann lohnt sich ein Wechsel. Frage Dein Behandlungsteam regelmäßig nach neuen Therapieoptionen.
- Vergisst Du schlicht und einfach die regelmäßigen Gaben Deines Medikaments? Da kann Dir die Erinnerungsfunktion Deines Smartphones oder eine App helfen, die Dich an die Verabreichung erinnert. Oder bitte eine mit Dir zusammenwohnende Person, Dich daran zu erinnern.
- Bist Du genervt von der Dokumentation und fragst Dich, was das soll? Auch hier kann Dir eine App helfen. Sie unterstützt Dich bei der Dokumentation und hat noch viele weitere Funktionen, wie beispielsweise ein Symptom-Tagebuch. Du kannst über die App auch mit Deinem Behandlungsteam kommunizieren. So kannst Du Dir lange Erklärungen beim nächsten Termin sparen: Deine Ärztin oder Dein Arzt sieht anhand der Daten in der App, wie es Dir geht.
Wie kann Adhärenz gemessen werden?
Ärztinnen und Ärzte müssen bis zu einem gewissen Punkt ihren Hämophilie-Patienten vertrauen, wenn es um die Adhärenz geht. Zwar können sie mithilfe von Fragebögen, die der Patient oder die Eltern eines betroffenen Kindes ausfüllen, versuchen nachzuhalten, wie die Therapie läuft und ob sie eingehalten wird. Aber sie sind dabei darauf angewiesen, dass die Antworten auf die Fragen der Wahrheit entsprechen.
Auch Dein Behandlungsteam ist auf Deine wahrheitsgemäße Aussage bzw. Dein korrektes Ausfüllen der Therapiedokumentation angewiesen. Nur so könnt Ihr gemeinsam die für Dich am besten geeignete Therapie finden und Probleme gemeinsam lösen.
Tipp
Eine offene Kommunikation mit Deinem Behandlungsteam ist das A & O für eine erfolgreiche Therapie und ein gutes Verhältnis. Sei stets ehrlich und scheue Dich nicht, Fragen zu stellen. Als Unterstützung haben wir Dir eine Checkliste für ein erfolgreichen Arztgespräch zusammengestellt.
Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück.
Quellen:
- Miguel A. und Escobar MD. Navigating Adherence Challenges: Understandig Treatment Exhaustion and Barriers to Access. WFH 2024
- Hoefnagels JW et al. Adherence to prophylaxis and its association with activation of self-management and treatment satisfaction. Haemophilia. 2021; 27(4):581–590
- Fuchs T. Adhärenz bei Hämophilie: Gemeinsam eine Therapie finden, die individuell zum Alltag passt. Hämovision 03/2024
- https://www.copatient.de/strategien-zur-verbesserung-der-adhaerenz, zuletzt abgerufen am 07.05.2024
- Johnston K. et al. Preferences and Health-Related Quality-of-Life Related to Disease and Treatment Features for Patients with Hemophilia A in a Canadian General Population Sample. Patient Preference and Adherence 2021; 15:1407–1417
- Stoner KL et al. Intravenous versus Subcutaneous Drug Administration. Which Do Patients Prefer? A Systematic Review. Patient. 2014
- Haschberger B. et al. Dokumentation in der Hämophilietherapie mit Unterstützung des Deutschen Hämophilieregisters. Hämostaseologie 4a/2010