Transition und Hämophilie – so gelingt der Übergang ins Erwachsenenleben

Transition und Hämophilie – so gelingt der Übergang ins Erwachsenenleben

Wenn Dir Dein Kinderzimmer zu klein wird, Du zum Teenager und zum jungen Erwachsenen wirst, ändern sich unendlich viele Dinge. Du lernst Dich, Deine Wünsche und neue Leute kennen und entdeckst ganz allgemein die Welt für Dich neu. Deine Eltern müssen Stück für Stück immer mehr loslassen, während Du das Ruder in die Hand nimmst.

Die Veränderungen, die die Pubertät und das Erwachsenwerden mit sich bringen, haben weitreichende Auswirkungen. Du fängst an, vieles mit anderen Augen zu sehen, fühlst Dich schneller bevormundet und bewertest Dinge, die früher selbstverständlich schienen womöglich neu. Auch die Art und Weise, wie Du mit Deiner Hämophilie und mit ihrer Behandlung umgehen willst, kann sich dabei verändern. Auch neue Hobbys, Lebensentwürfe und Wünsche können die Therapieform infrage stellen.

Chronische Erkrankungen wie die Hämophilie bringen spezielle Herausforderungen mit sich. Um ihnen gerecht zu werden, ist es mit einem einfachen Wechsel (Transfer) zu einer Hausärztin oder einem Hausarzt nicht getan. Die Begleitung des Übergangs von der Pädiatrie zu den Ärztinnen und Ärzten der Erwachsenen wird von medizinischer Seite Transition genannt.

Tipp

In der Medizin spricht man von Transition, wenn ein junger Mensch mit einer chronischen Erkrankung von der Pädiatrie zur Erwachsenenmedizin wechselt. Da chronische Erkrankungen besondere medizinische Aufmerksamkeit erfordern, handelt es sich dabei um einen Prozess, der mehrere Jahre dauern kann. Wechselt ein junger Mensch ohne chronische Erkrankungen von der Kinderärztin oder dem Kinderarzt zu einer Ärztin oder einem Arzt für Erwachsene, wird das in der Medizin als „Transfer“ bezeichnet.

Bei der Hämophilie ist es wichtig, dass dem jungen Erwachsenen, also Dir, die Werkzeuge an die Hand gegeben werden, die Du brauchst, um zum Beispiel ohne die Hilfe Deiner Eltern in einer neuen Stadt klarzukommen. Du musst einen ähnlichen Prozess wie damals Deine Eltern durchlaufen, die sich die Fähigkeiten für den Umgang mit einem hämophilen Sohn auch erst aneignen mussten: Welche Anlaufstellen gibt es? Wo ist das nächste Hämophilie-Zentrum? Welche Therapieoptionen gibt es? Wie funktioniert die Medikamentengabe? Wie viel kann ich mir selbst zutrauen, wieviel mir erlauben? Und so vieles mehr.

Grundlegende Checkliste für die Transition

  • Du hast oder Deine Eltern haben vom Thema Transition gehört.
  • Ihr sammelt Informationen darüber.
  • Ihr sprecht das Behandlungsteam darauf an.
  • Gemeinsam erstellt ihr einen Plan, in dem die individuellen Schritte festgehalten werden.

Es geht nicht darum, dass sich von jetzt auf gleich alles in Deinem Leben ändert, sondern darum, Schritt für Schritt mehr Verantwortung zu übernehmen und Dich weniger auf Deine Eltern zu verlassen.

Grundvoraussetzungen für Deine Selbstständigkeit:

  • Ich bin gut über die Hämophilie und meine Form der Hämophilie informiert.
  • Ich trage meinen Notfallausweis und die Notfallnummer meines Hämophilie-Zentrums bei mir.
  • Ich bin mir darüber voll bewusst, dass ich meine Therapie weiterführen muss, wenn ich nicht mehr zu Hause wohne.
  • Meine Medikamente kann ich eigenständig besorgen ebenso wie Termine vereinbaren.
  • Ich weiß, welche Aktivitäten für mich geeignet sind, erkenne Blutungen und kann mir meine Medikamente selbst verabreichen.
  • Die Verabreichung der Medikamente dokumentiere ich ordentlich.
  • Ich weiß, wie ich meine Hämophilie-Medikamente lagern muss und achte darauf, immer ausreichend vorrätig zu haben.

Viele Punkte aus dieser Liste hast Du möglicherweise schon vor langer Zeit eingeübt – aber vielleicht auch nicht. Die Eigenständigkeit hämophiler Kinder kann sich unter Umständen zunächst etwas langsamer als bei Gleichaltrigen entwickeln, da sich die Eltern wohlmöglich stärker kümmern als bei Kindern ohne chronische Erkrankung – das ist völlig normal.

Auch normal ist die Sorge der Eltern. Wenn Du es Deinen Eltern, aber auch Dir selbst, etwas leichter machen willst, setzt Du Dich mit dieser Liste auseinander und versuchst in einem Tempo, das Dir entspricht, die Punkte nach und nach abzuhaken.

Das Verständnis für die eigene Erkrankung und ihre Akzeptanz ist für eine erfolgreiche Transition entscheidend

Häufig geht die Pubertät und die sich anschließende Phase des jungen Erwachsenenalters aber auch mit Rebellion und einem scheinbar unbändigen Freiheitsdrang einher. Regeln, Systeme, Lebensentwürfe – alles, was gerade nicht mehr zu den eigenen Vorstellungen passt und einengt, wird über Bord geworfen. Schnell wird da eine Behandlung, die diszipliniert befolgt werden muss, als sehr einschränkend wahrgenommen.

Unter Umständen kann sich das negativ auf Deine zukünftige Gesundheit und Lebensqualität auswirken. Daher ist es von großem Vorteil, wenn Du Deine Hämophilie akzeptierst und Dir wirklich bewusst machst, dass Du es in Deiner eigenen Hand hast! Idealerweise bist Du gut über die medizinischen Zusammenhänge informiert, denn so kannst Du am besten abschätzen, was Du machen kannst und was nicht.

Mit Deinem 18. Geburtstag wirst Du volljährig. Sämtliche medizinischen Entscheidungen, auch die, die Deine Therapie betreffen, darfst Du dann selbst bestimmen. Wenn sich in dieser Phase neue Lebensentwürfe und Wünsche entwickeln, ist es an der Zeit, das Gespräch mit Deinem Behandlungsteam zu suchen, denn Zufriedenheit und Identifikation mit Deiner Therapie sind entscheidend für den Behandlungserfolg.

Die Transition ist ein Gemeinschaftsprojekt

Eltern, Kind und Behandlungsteam arbeiten idealerweise zusammen. Die Eltern können früh beginnen, ihr Kind zur Selbstständigkeit zu erziehen und die Akzeptanz der eigenen Erkrankung zu schärfen. Sich selbst können die Eltern ebenso trainieren – und zwar im Loslassen. Dazu bieten sich etwa Ausflüge und Freizeiten mit Schule oder Sport an. Dort findet Eigenverantwortung noch im sicheren Rahmen statt.

Erwachsen werden heißt nicht nur Freiheiten genießen, sondern auch Verantwortung zu übernehmen. Als Jugendlicher und später als junger Erwachsener musst Du zeigen, dass Du auf Dich allein gestellt bestehen kannst. Insbesondere Deine Adhärenz solltest Du auch ohne die elterliche Kontrolle nicht vernachlässigen.

Die Kinderärztinnen und -ärzte oder gegebenenfalls das Behandlungsteam des Hämophilie-Zentrums sind es auch, die Dich und Deine Eltern auf den bevorstehenden Prozess der Transition aufmerksam machen und konkrete Tipps geben. Sie können ebenfalls einen großen Beitrag leisten, indem sie ihre jungen Patienten für die Bedeutung der Therapie und eines engen Kontaktes zum Hämophilie-Zentrum sensibilisieren.

Es spricht auch nichts dagegen, dass Du und Deine Eltern selbst die Initiative ergreifen und das Gespräch über das Thema „Transition“ suchen. Im Fachjargon heißt das „Shared Decision Making“ und bedeutet nichts anderes, als eine eigenständige und selbstbewusste Therapieentscheidung gemeinsam mit dem Behandlungsteam zu treffen. Das Kompetenznetz Patientenschulung e. V. bietet sogar Schulungen für Eltern und ihre Kinder an (https://www.kompetenznetz-patientenschulung.de/).

Zitat

Was muss sich ändern, damit Transition erfolgreich wird?

Es gibt leider nicht die eine Sache, die sich ändern muss, damit Transition gelingt. Dazu sind viele größere und kleinere Veränderungen nötig: Kinder- und Jugendärzte müssen das Thema frühzeitig und strukturiert anbahnen. Jugendliche müssen sich darüber klar werden, wie sie sich ihren Übergang wünschen und ihre Wünsche selbstbewusst äußern. Erwachsenenmediziner müssten sich mehr in die Entwicklung von Transitionskonzepten einbringen. Es braucht eine verlässliche und angemessene Finanzierung von Transitionsleistungen.

Dr. Gundula Ernst

Während deiner Kindheits- und Jugendjahre haben sich bei Deinen Behandlerinnen und Behandlern und teilweise auch bei Dir eine ganze Reihe medizinischer und gesundheitsbezogener Daten angesammelt. Für die Ärztinnen und Ärzte, zu denen Du während der Transition wechselst, werden diese Daten ebenfalls benötigt.

Zu diesen Daten zählen:

  1. Informationen zur Diagnose
  2. Verlauf der Hämophilie sowie ihrer Behandlung
  3. eventuelle Begleiterkrankungen, Zusatzdiagnosen mit Zeitpunkt ihres Auftretens, Operationen, Risikofaktoren
  4. relevante Befunde (z. B. radiologisch, physiotherapeutisch, klinisch, genetisch, Hemmkörper betreffend)
  5. Informationen zu Deiner Person, zu möglichen psychosozialen Herausforderungen und zu Deiner familiären Situation – medizinisch wie auch sozial (Sozial- und Familienanamnese)
  6. Vermerke über gegebenenfalls durchgeführte Beratungen zu genetischen, sozialrechtlichen oder psychosozialen Fragestellungen sowie über REHA-Aufenthalte
  7. Empfehlungen für die weitere Behandlung, Monitoring oder Schulung
  8. Kontaktdaten von Mitbehandelnden

Von der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt werden ebenfalls gewisse Aufgaben erwartet. Sie oder er sollte:

  1. den Patienten frühzeitig auch ohne Eltern sehen, um so die Entwicklung seiner Unabhängigkeit und Selbstverantwortung zu unterstützen.
  2. Den Patienten und seine Familie frühzeitig über die Transition und ihrer Notwendigkeit aufklären.
  3. Ärztinnen und Ärzte empfehlen, die die Therapie weiterführen könnten.
  4. Die Transition als individuellen Prozess gestalten, der nicht an ein festes Datum gebunden ist.

Die Behandlungsteams der Hämostaseologie begleiten den Transitionsprozess häufig aktiv und in einigen Hämophilie-Zentren gibt es auch spezielle Transitionssprechstunden. Frag doch einfach mal danach.

Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück.

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