Aller Anfang ist schwer
Studium oder Ausbildung? Geistige oder körperliche Arbeit? Kreativ austoben oder analytisch planen? Teamplayer oder Einzelkämpfer? So vielfältig wie diese Fragen schon sind, die Berufswelt ist noch viel größer. Es gibt unendlich viele Jobs – von vielen hast Du vermutlich noch nie was gehört. Deswegen kann es hilfreich sein, Dich beim Arbeitsamt über verschiedene Berufe zu informieren und vielleicht sogar einen Berufsorientierungstest zu machen – besonders wenn Du noch keine Vorstellung hast, was Du mal beruflich machen willst. Dabei werden Deine verschiedenen Stärken und Präferenzen abgefragt und Dir dann anhand dessen potenziell geeignete Berufsfelder vorgeschlagen. Da ist dann bestimmt der ein oder andere Job dabei, an den Du vorher noch gar nicht gedacht hast.
Rainer hat an diesem Punkt folgenden Tipp für Euch: Höre als Erstes auf Dein Herz. Mit der richtigen prophylaktischen Behandlung schränkt Dich die Hämophilie heutzutage kaum noch ein. Doch bevor Du Dich entscheidest, informiere Dich über den Beruf. Welche Anforderungen bringt er mit sich? Welche Tätigkeiten könnten sich negativ auf Deinen Körper auswirken? Frage Dich ehrlich, ob Du Dich dem aussetzen kannst und auch willst.
Außerdem ist es heute nicht mehr so, dass Du einen einmal erlernten Beruf für den Rest Deines Lebens ausüben musst. Also mache Dir nicht zu viele Gedanken und denke in überschaubaren Zeiträumen. Es geht nicht darum, direkt den Job fürs Leben zu finden. Du kannst den Job wechseln, wenn er nicht passen sollte oder Dich im gleichen Beruf zu einem anderen Bereich hin entwickeln. Du kannst auch später immer noch eine neue Aus- oder Weiterbildung für einen anderen Beruf machen.
Welche Jobs sind Hämophilie-kompatibel?
Diese Frage haben wir uns schon einmal gestellt. Mehr dazu und welche Ausschlusskriterien es gibt, findest Du in unserem Beitrag „Berufswahl mit Hämophilie A“.
Grundsätzlich kann man wohl sagen: Egal, in welchem Bereich Deine Interessen und Stärken liegen, es gibt vermutlich überall einen Job, den Du ausüben kannst. Bist Du handwerklich interessiert und würdest gerne am Bau arbeiten? Wie wäre es dann mit Bauleiter, -zeichner oder -planer? Dich interessieren Autos, aber KFZ-Mechaniker ist körperlich zu herausfordernd? Dann wären Design und Entwicklung, Verkauf oder Lackieren von Fahrzeugen vielleicht etwas für Dich. Du möchtest in die Medizin und Menschen helfen? Dann wäre medizinisch-technischer Assistent (MTA) ein passender Beruf oder etwas in den Bereichen Zahnmedizin, Logopädie oder Hörgeräteakustik.
Hier ein paar beispielhafte Berufsfelder, die für Hämophile geeignet sind:
- Datenverarbeitung / IT
- Design (Print und Digital)
- „irgendwas mit Medien“ 😉
- Journalismus / Schriftsteller
- Geisteswissenschaften
- Naturwissenschaften
- Sprachwissenschaften
- Jura, Notar, Steuern, Versicherungen
- Kaufmännische Berufe
- Fotografie-, Musik- oder Filmgeschäft
- Mode-, Schmuck- und Uhrherstellung
- Tourismus- und Veranstaltungsbranche
Auch wenn Schreibtisch-Jobs – welche die gerade genannten Berufsfelder größtenteils mit sich bringen – nur ein geringes Risiko für Verletzungen aufweisen, solltest Du trotzdem dabei auf einige Dinge achten, um Deine Gelenke und Deinen Körper zu schonen. Mehr dazu erfährst Du im Beitrag „Gelenkschonendes Arbeiten mit Hämophilie A“.
Welchen Einfluss hat Hämophilie auf die Berufswahl?
Du merkst: Auch wenn viele Berufe möglich sind, ist trotzdem nicht jeder Job für Dich ideal. Das hat auch Rainer erfahren müssen. Als Kind wollte er Rennfahrer werden, musste den Traum jedoch aufgeben, da er im Alter von sechs Jahren für zwei Jahre im Rollstuhl saß. Auch seine Idee, Arzt zu werden, konnte er nicht verwirklichen, da es damals für Hämophile noch nicht möglich war (heute allerdings schon). Da er auch gerne etwas mit Musik machen wollte, spielte er mit dem Gedanken, eine Rock-Kneipe zu eröffnen. Doch aufgrund des vielen Stehens und Laufens machten ihm seine Knie einen Strich durch die Rechnung. So schloss er generell für sich Berufe aus, bei denen er viel stehen muss – aus Sorge, sich nicht gut genug auf die Arbeit konzentrieren zu können.
Über Umwege ist Rainer dann in der IT gelandet, was ihm auch sehr viel Spaß macht. Er würde sich immer wieder dafür entscheiden, auch wenn sein Berufsweg eher durch Zufälle oder neue Möglichkeiten geprägt war als durch Planung. Einen Hämophilie-bedingten Jobwechsel gab es bisher für ihn nicht. Dafür aber, wenn ihm seine Jobs nicht mehr gefielen oder er sich beruflich weiterentwickeln wollte.
Manchmal fragt er sich auch, ob er vielleicht besser einen Beruf mit mehr Menschenkontakt gewählt hätte und trauert ein bisschen der Medizin hinterher. Doch dafür hat er einen guten Ausgleich gefunden: Er engagiert sich gemeinsam mit Ärztinnen, Ärzten und Gesundheitsfachleuten als Vertreter in einer Patientenorganisation für Menschen mit Hämophilie.
Wie erzähle ich es der Chefin oder dem Chef?
Hast Du Dich für einen Job entschieden, Dich beworben und eine Einladung zum Bewerbungsgespräch bekommen, stehen auch schon die nächsten Fragen an: Muss ich von meiner Hämophilie erzählen? Wann ist der beste Zeitpunkt dafür? Mehr zu dem Thema erfährst Du auch in unseren Beiträgen „Hämophilie A – Wie sage ich es dem Chef?“ und „Arbeitsrecht – Rechte im Job für Menschen mit Hämophilie A“.
Auch Rainer stand vor dieser Frage. Er hat sich dazu entschieden, das Thema in seinen Bewerbungsgesprächen anzusprechen. Da oft mehrere Gespräche vor einer Einstellung stattfinden, hat er nicht immer sofort erzählt, dass er Hämophilie hat. In den ersten Gesprächen ist er stattdessen auf seine Fähigkeiten und Kenntnisse eingegangen und weshalb er den Job will. Außerdem war ihm wichtig, zu schauen, ob ihm die Firma und die Leute dort zusagen. Wenn bei einem weiteren Gespräch die Inhalte des Arbeitsvertrags verhandelt wurden, hat er sein Gegenüber genau beobachtet, um möglichst gut den richtigen Zeitpunkt einzuschätzen, wann er seine Erkrankung erwähnen kann. Auf Nachfragen erklärt er dann, welche Auswirkungen die Hämophilie auf ihn hat und dass er alles im Griff hat, weil er sich selbst spritzen kann und dass die Hämophilie für die zukünftige Arbeit keine Einschränkungen bedeutet.
Auch unser Blogger Sven ist mit seiner Hämophilie bei seinen Bewerbungen offen umgegangen und hat gute Erfahrungen damit gemacht. Welcher Zeitpunkt für Dich der Richtige ist, dass kannst Du selbst am besten bestimmen. Vielleicht hast Du ein gutes Bauchgefühl oder eine sehr gute Menschenkenntnis, und kannst so den richtigen Zeitpunkt erkennen. Vielleicht helfen Dir aber auch die Tipps von Rainer und Sven weiter.
Vorteile durch einen Schwerbehindertenausweis?
Dir ist freigestellt, ob Du Deiner Arbeitgeberin oder Deinem Arbeitgeber von Deiner Hämophilie erzählst – solange die Hämophilie Deine Leistung nicht beeinträchtigt oder andere Mitarbeitende gefährdet werden. Es kann aber auch Vorteile haben, Deine Erkrankung zu erwähnen: Stichwort „Schwerbehindertenausweis“.
Zum einen sind Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, zu einem bestimmten Prozentsatz Menschen mit einer Behinderung einzustellen. Ansonsten müssen sie Strafe zahlen. Dies soll der Inklusion dieser Personengruppe in den ersten Arbeitsmarkt dienen. Daher kann das Wissen um Deine Schwerbehinderung eventuell den Ausschlag geben, ob Du eingestellt wirst oder eine andere, nicht beeinträchtigte Person den Job bekommt.
Zum anderen bringt Dir ein Schwerbehindertenausweis ein paar Vorteile im Job. Dazu gehören beispielsweise zusätzliche Urlaubstage oder ein besonderer Kündigungsschutz. Was selbstverständlich nicht gesetzlich geregelt ist, aber das Wissen Deiner Kolleginnen und Kollegen über Deine Hämophilie voraussetzt, ist eine größere Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft. So wird Dir vielleicht bei übervollen Meetings eher ein Sitzplatz oder im Alltag Hilfe beim Tragen von schweren Sachen angeboten.
Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück.
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