Mit schwerer Hämophilie A zum Schwimm-Weltmeister

Mit schwerer Hämophilie A zum Schwimm-Weltmeister

Ich bin Miriam und mein Mann Rainer hat eine schwere Hämophilie A und zusätzlich Gelenkarthrose. Hier erzähle ich euch, wie er trotz dieser Beeinträchtigungen zum Leistungssportler werden konnte.

Rainers Gelenkschäden sind aufgrund vieler Gelenkblutungen in der Kindheit entstanden und sind anfangs nicht richtig behandelt worden. Erst viel später wurde er in einem Hämophilie-Zentrum behandelt. Von dort kam der Tipp, Schwimmen zu lernen. Das war der Anfang von Rainers Schwimmkarriere. Warum Schwimmen gut für Hämophile ist, erfahrt Ihr in meinem nächsten Beitrag „Schwimmen – ein idealer Sport für Menschen mit Hämophilie“.

Als Leistungssportler im Schwimmen ist er auf Wettkämpfen geschwommen und hat sich seinen Traum gleich zweimal erfüllt: Weltmeister im Schwimmen für Behinderte. Hier erzählt er seine Geschichte.

Rainer, wie war Dein Weg zum Sport?

Das Schwimmen lernte ich von meinen Eltern. Sie sind mit mir und meinen beiden Geschwistern regelmäßig jeden Samstag schwimmen gegangen. Mit circa acht Jahren konnte ich schwimmen. Das Schwimmen wurde damals vom Hämophilie-Zentrum empfohlen, um meine Muskulatur zu stärken und aufzubauen. Davor habe ich zwei Jahre im Rollstuhl gesessen und hatte bereits einige erfolglose Behandlungsversuche hinter mir.

Mit zehn Jahren (1976) versuchten meine Eltern, mich bei einem Schwimmverein anzumelden, damit ich regelmäßig trainieren konnte. Der erste Verein lehnte mich aber wegen meiner Behinderung ab. Ein anderer Schwimmverein nahm mich auf. Ich durfte dort in der Trainingsmannschaft mit meinem gesunden jüngeren Bruder zweimal in der Woche schwimmen.

Wie bist Du dazu gekommen, Schwimmen als Leistungssport zu betreiben?

Nach einem Jahr gewann ich meine erste Medaille. Ab 1977 trainierten wir zwei- bis dreimal in der Woche und nahmen an Wettkämpfen teil. 1981 kam ich dann in die erste Wettkampfmannschaft als erster Schwimmer mit einer Behinderung unter Menschen ohne körperliche Beeinträchtigung.

Aufgrund der Schäden in meinen Knien und an den Sprunggelenken konnte ich kaum Beinschlag beim Schwimmen machen. Zudem verlor ich mehrmals den Anschluss, weil ich weiterhin Blutungen hatte und deshalb ausfiel. Trotz meiner Mühen erreichte ich meine früheren Erfolge nicht mehr. Ich war deshalb hauptsächlich nur noch im Mittelfeld. Das frustrierte mich.

1984 wurde ich gefragt, ob ich nicht bei den Schwimmern mit körperlichen Beeinträchtigungen starten wollte. Bis dahin hatte ich noch nichts davon gehört. Damals waren es hauptsächlich Versehrtengemeinschaften, in denen Kriegsversehrte geschwommen sind. Bei ihnen schaffte ich die Qualifikation für die deutschen Meisterschaften 1984 in Dortmund. Dort gewann ich sechs deutsche Titel.

Dann kam der Rückschlag 1985, als ich mir einen Muskelfaserriss im Iliopsoas (Beuger im Hüftgelenk) zuzog und sechs Wochen im Krankenhaus bleiben musste. Danach durfte ich langsam wieder anfangen. 1986 bei den Deutschen Meisterschaften in Hamburg war ich fast wieder in vorheriger Stärke unterwegs.

Die deutschen Meisterschaften in Hamburg waren sehr wichtig für mich. Sie waren die Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Göteborg, Schweden. Die Qualifikation für die Weltmeisterschaft habe ich geschafft, trotz einer Blutung am Mittelfinger, die ich zu der Zeit hatte.

Mein großer Traum war es, Weltmeister zu werden. Ich denke, ich war der Einzige, der daran glaubte. Dennoch bin ich zweimal Weltmeister im Schwimmen für Behinderte geworden. In Göteborg gewann ich mit der deutschen Lagenstaffel Gold in Weltbestzeit, in den Schwimmstilen 4x100m Rücken, Schmetterling, Brust und Freistil. Ab da war ich in der A-Nationalmannschaft und wiederholte meinen Erfolg 1990 in Assen, Niederlande mit Gold über 4×100 Freistilstaffel. 1992 beendete ich meine Schwimmerkarriere.

Was war durch die Hämophilie beim Leistungssport anders?

Für die gesunden Schwimmer in Vereinen für Nichtbehinderte war es nicht immer einfach, meine Lage zu verstehen, und so war ich nicht immer die erste Wahl bei Mannschaftsaufstellungen. Es zählten erbrachte Zeiten und ob man diese steigern kann. Man traute mir oft nicht zu, dass ich meine Zeiten verbessern kann, da der notwendige Beinschlag fehlte. Wegen plötzlich aufkommender Gelenkschmerzen war ich ein „Wackel-Kandidat“. Ich wurde aber auch nicht direkt ausgegrenzt.

Außerdem war mein Reisegepäck zu den Wettkämpfen umfangreicher als bei Gesunden. Ich hatte immer noch einen extra Koffer mit den Medikamenten dabei. Darin befanden sich die Spritzen, Fläschchen, weiteres Spritzen-Zubehör und die Medikamente für den Notfall.

Welchen Einfluss hatte der Leistungssport auf Deine restlichen Lebensbereiche?

Durch den Leistungssport habe ich meinen Körper besser kennengelernt. Ich lernte, wie ich meine Leistung besser einteilen konnte und wo mein Potenzial war. Nach einiger Zeit erkannte ich, wann die Grenze zu Verletzungen oder Blutungen erreicht war. Außerdem lernte ich, einzelne Muskeln direkt anzusteuern. Meine aufgebauten Muskeln sorgen für einen stabilen Körper. Mit dem durchtrainierten Schwimmer-Oberkörper konnte ich meine dünnen und durch die Hämophilie in Mitleidenschaft gezogenen Beine überblenden.

Der Leistungssport hat mich auch sozial stabiler gemacht. Ich war auf einmal jemand. Das stärkte mein Selbstbewusstsein Ende der 80er Jahre. Davor war ich einfach für alle „nicht normal“. Ich benötigte besondere Betreuung. Meine Beine konnte ich nur eingeschränkt bewegen und ich musste immer sehr vorsichtig sein, damit ich keine Blutung bekomme.

Durch den Leistungssport lernte ich, mir Ziele zu setzen und dafür zu kämpfen, egal wie oft ich eine Niederlage erlebte. Ich stand immer wieder auf. Das führte zu einem positiven Lebensgefühl und macht mich zu heute zu einem glücklichen Menschen.

Was waren Deine größten Erfolge als Sportler mit Hämophilie?

Ich bin stolz darauf, zweimal Weltmeister im Schwimmen für Behinderte bei den World Championship and Games for Disabled geworden zu sein. Insgesamt habe ich sieben Medaillen gewonnen. Darunter zweimal WM-Gold, viermal WM-Bronze und einmal EM-Bronze. Ich habe 15 deutsche Rekorde und einen Weltrekord aufgestellt. Außerdem war ich 21-mal Deutscher Meister.

Welches waren Deine Tiefpunkte als Sportler?

Der größte Tiefpunkt war die Disqualifikation bei den Paralympics 1988 in Seoul, Südkorea. Um damals starten zu können, musste vom Deutschen Behindertensportverband ein Medizin-Pass erstellt werden, der die Behinderung nachweisen sollte. Aus irgendwelchen Gründen war das Dokument nicht den Richtlinien entsprechend ausgefüllt und damit ungültig. Ich durfte deshalb nicht starten und musste zuschauen. In Deutschland wurde ich dann vom Sportausschuss des deutschen Bundestages für meine „Leistungen“ ausgezeichnet. Das fühlte sich für mich als Leistungssportler, der nicht starten durfte, seltsam an.

Was hast Du aus den Tiefpunkten für Dich mitgenommen?

Ich habe gelernt, die Situationen, die zu Niederlagen geführt haben, nochmal zu reflektieren und meine Schlüsse daraus zu ziehen. Damit es beim nächsten Mal besser wird. Ich habe auch gelernt, dass Niederlagen zum Gewinnen dazugehören. Man darf aber nicht an seiner Vision und seinen Zielen zweifeln, sondern muss weiterhin fest daran glauben.

Weshalb hast Du mit dem Leistungssport aufgehört?

Ich habe mit dem Leistungssport aufgehört, als ich geheiratet habe und das erste Kind kam. Außerdem habe ich auch noch in meinem Beruf gearbeitet. Beruf, Familie und Leistungssport zusammen waren zu viel. Mir war es auch wichtig, auf dem Höhepunkt meiner Schwimmlaufbahn aufzuhören. Daher habe ich bis heute auch schöne Erinnerungen an diese Zeit.

Was hast Du Dir aus Deiner aktiven Sportlerzeit für das Leben danach beibehalten?

Während der Zeit des Leistungssports und der Zeit der internationalen Wettkämpfe habe ich viel über die Leistungsfähigkeit meines Körpers erfahren. Als Sportler habe ich mich auch viel mit Ernährung, autogenem Training und gezieltem Krafttraining beschäftigt. Das hilft mir heute noch.

Auch mental habe ich viel aus dieser Zeit mitgenommen. Zum Beispiel an ein Ziel zu glauben und bis zum letzten Meter zu kämpfen, auch wenn es für andere aussichtslos erscheint. Ich kämpfe für meine Ideen und kann besser mit Niederlagen umgehen. Ich habe ein positives Denken über meinen Körper. Die Hämophilie ist ein Teil von mir. Aber ich lasse es nicht zu, dass sie mich dominiert.

Welches Fazit ziehst Du aus Deiner Geschichte für Menschen mit Hämophilie?

Schwimmen ist die ideale Sportart für Hämophile. Es ist ein gelenkschonender Sport, mit dem man seinen Körper stärken kann und die Verletzungsgefahr ist gering. Falls das Bahnen schwimmen zu langweilig wird, ist der intensive Leistungssport und Wettkampf eine lohnende Herausforderung. Schwere Hämophilie ist dabei kein Hindernis und man muss auch nicht die Prophylaxe anpassen.

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