Hämophilie in der Pubertät

Ich bin Jonah und in diesem Beitrag erzähle ich Euch von meinen Erfahrungen mit meiner Hämophilie A in der Pubertät.

Liebe Active A Community,
vorab möchte ich mich für das positive Feedback auf die ersten Beiträge bedanken. Es freut mich und alle anderen Beteiligten sehr, dass es Leute gibt, die etwas mit diesen Erfahrungsberichten anfangen können.

Im Folgenden möchte ich ein bisschen von meinen Erfahrungen mit meiner Hämophilie in der Pubertät erzählen. So lange ist das bei mir ja noch gar nicht her, deshalb hoffe ich, dass das Ganze zeitgemäß ist und Ihr oder Eure Kinder aus meinen Erfahrungen das ein oder andere mitnehmen könnt.

Der Weg zur Selbstbestimmtheit

Der bei mir persönlich größte Punkt war ohne Frage die Umgewöhnung zur Selbstbestimmtheit. Gerade im Kindes- und Jugendalter waren meine Eltern sehr hinterher, dass ich jeden zweiten Tag mein Medikament spritzte und immer einen guten prophylaktischen Schutz hatte. Gerade meine Mutter hat als Überträgerin mit vielen Betroffenen in der eigenen Familie öfter gesehen, wie es aussehen kann, wenn man seine Medikation nicht im erforderlichen Rahmen ernst nimmt. Da einige Verwandte von mir schon sehr früh Einschränkungen in ihrer Mobilität hinnehmen mussten, haben meine Eltern, aber gerade meine Mutter großen Wert darauf gelegt, dass mir nichts Vergleichbares passiert. 

Natürlich hat man dann gerade im Jugendalter keine Lust mehr darauf, dass andauernd jemand hinter einem steht und aufpasst, dass nichts passiert oder dass zumindest jemand da ist, falls etwas passieren sollte. Das haben auch meine Eltern gewusst und deshalb noch mehr darauf geachtet, dass ich regelmäßig substituiere. 

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich nicht besonders gut darin war, an meine Erkrankung zu denken, wenn nicht gerade irgendein Gelenk weh getan hat. Daher habe ich leider nicht so verlässlich daran gedacht zu spritzen, wie meine Eltern es sich gewünscht hätten. Diese Umstände führten natürlich zwangsweise zu Reibereien, da ich mir nicht gerne reinreden lasse und meine Eltern verständlicherweise mit Nachdruck darauf bestanden haben, dass ich entweder am geplanten Tag daran denke oder es am nächsten Tag nachhole.

Lernen durch Erfahrung – für mich die bessere Option

Unabhängigkeit von den Eltern ist, glaube ich, für jeden Jugendlichen ein großes Thema. Und das Loslassen fällt vermutlich vielen Eltern schwer, auch wenn das Kind keine Gerinnungsstörung hat. Wenn dann aber noch eine Erkrankung dazukommt und es ein Risiko auf bleibende Schäden gibt, fällt es bestimmt vielen Eltern noch schwerer, den Jugendlichen seine eigenen Erfahrungen machen zu lassen.

Ich spreche natürlich nur von meinen eigenen Erlebnissen, aber ich muss rückblickend sagen, dass es vermutlich besser gewesen wäre, wenn man mich meine eigenen Erfahrungen hätte machen lassen. Auch wenn das bedeutet hätte, dass ich mehr Blutungen im Jugendalter zu beklagen gehabt hätte. Ich persönlich lerne am besten, wenn es einmal weh tut und diese Erfahrung wurde dadurch länger herausgezögert, als es hätte sein müssen. Ich verstehe vollkommen, dass man als Elternteil besorgt ist und unbedingt verhindern möchte, dass das Kind unangenehme Erfahrungen macht, die sich im schlimmsten Fall sogar auf das weitere Leben auswirken können. Daher möchte ich auch nicht sagen, dass meine Auffassung der Dinge die absolute Wahrheit ist. Aber ich denke, dass ich persönlich früher zu selbstständiger und vor allem selbstbestimmter Substitution gefunden hätte, wenn ich einige unangenehme Situationen eher erlebt hätte. 

Wenn Fürsorge zur Belastung wird

Die große Sorge meiner Mutter vor Gelenkblutungen hat bei mir dazu geführt, dass ich oft erst Bescheid gesagt habe, wenn es schon so weh getan hat, dass man es auch nicht mehr wirklich überspielen konnte. Die Blutungen, die dadurch entstanden sind, zogen oft einen deutlich längeren und unnötigen Rattenschwanz an Konsequenzen nach sich. Ich glaube, dass sich dieses Verhalten bei mir auch in andere Lebensbereiche übertragen hat und ich mich deshalb zwischenzeitlich etwas mehr von meinen Eltern distanziert habe, da ich das Gefühl hatte, mich loseisen zu müssen. Daraus sind einige andere Probleme entstanden, durch die ich überhaupt erst auf die Idee gekommen bin, dass einige meiner Verhaltensweisen auf die Umstände durch die Hämophilie zurückzuführen sind. Ich glaube, dass es sehr schwer und vor allem persönlichkeitsabhängig ist, wie man auf solche Einflüsse reagiert. Daher möchte ich nicht sagen, welche Art des Umgangs richtig oder falsch ist. Aber ich muss im Nachhinein feststellen, dass einige Belastungen in der Beziehung zu meinen Eltern, die ja bei vielen Jugendlichen in der Pubertät etwas angespannter sein kann, durch ihre, aus Angst vor Blutungen resultierende, besonders starke Präsenz in meinem Leben entstanden sind.

Ich bin einerseits sehr dankbar, dass man mich ein bisschen vor meiner eigenen Nachlässigkeit geschützt hat, glaube aber auch, dass ich eine wertvolle Lektion über Selbstwirksamkeit damit erst deutlich später gelernt habe.

Da ich mittlerweile 24 bin, haben sich meine Eltern natürlich aus meiner Behandlung zurückgezogen. Jetzt substituiere ich nach einer eher dürftigen Phase endlich wieder regelmäßig und das aus freien Stücken.

Offen mit der Erkrankung umgehen

Ich könnte mir vorstellen, dass einige in ihrer Pubertät noch eher ein Problem damit haben könnten, anderen von ihrer Krankheit zu erzählen, da zumindest mir gerade in den ersten Jahren der Pubertät deutlich mehr Dinge unangenehm gewesen sind als in anderen Lebensabschnitten. Zum Glück hatte ich eine große Freundesgruppe, von der ich nie auch nur ein negatives Wort darüber gehört habe. Daher muss ich ehrlich sagen, dass ich mit dieser Art von Problem nie persönlich zu tun hatte und demnach auch die Hämophilie nie mit Scham in Verbindung gebracht habe. Für diejenigen, die leider doch ein Problem damit haben, über ihre Krankheit zu sprechen, beziehungsweise anderen davon zu erzählen, kann ich nur sagen, dass viele Dinge, die sich zu Schulzeiten wie riesige Hürden anfühlen, dann im Nachhinein doch eher kleine Hubbel als Berge sind.

Kinder und Jugendliche können wahnsinnig gemein sein, gerade wenn man in irgendeiner Art und Weise anders ist als seine Mitmenschen. Aber meiner Erfahrung nach wächst sich das spätestens nach der Schule raus.

Mein Rat an andere Betroffene

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Pubertät ohnehin sowohl für Eltern als auch für Kinder sehr herausfordernd sein kann und eine chronische Erkrankung eher noch Benzin ins Feuer kippt. Doch ich kann aus Erfahrung sagen, dass die entstandenen Konflikte im Nachhinein sehr lehrreiche Lektionen waren, auch wenn es sich in dem Moment nicht so angefühlt hat.

Falls Du also gerade in einer solchen Situation stecken solltest, kann ich aus meiner persönlichen Sicht sagen, dass die Lage sich wieder entspannen wird. Viele Dinge erkennt man als Betroffener im Nachhinein als sinnvoll an – auch wenn man als Jugendlicher natürlich nach Freiheit strampelt.

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