Hämophilie und Leistungssport – Geht nicht? Geht doch! (Teil 2)

Hämophilie und Leistungssport – Geht nicht? Geht doch! (Teil 2)

Hi, ich bin Alexander und habe mittelschwere Hämophilie A. Erinnert Ihr Euch noch, dass ich als Kind und Jugendlicher so gut wie gar keinen Sport gemacht habe? Das hat sich zum Glück geändert. Hier erzähle ich Euch, wie das passiert ist.

Wie ich das Tanzen für mich entdeckte

Ihr habt bestimmt schon gemerkt, dass meine Kindheit und Jugend eigentlich so gar nichts damit zu tun haben, wie ich heute zum Sport stehe und wie aktiv ich heutzutage bin. Was hat den Stein dann ins Rollen gebracht? Das war der erste Tanzkurs, den ich mit 16 Jahren gemacht habe.

Denn der damals recht schüchterne Alex hat sich gedacht, dass es doch bestimmt nicht schadet, etwas tanzen zu können. Das gehört in unserer Gesellschaft doch mit dazu, nicht? Außerdem hilft das Tanzen extrem, neue Freunde kennenzulernen. Ich war auf jeden Fall total begeistert davon, endlich einmal bei diesem Spektakel mitmachen zu können, und dachte damals auch noch nicht daran, dass Tanzen Sport ist.

Von diesem Zeitpunkt an war ich hin und weg vom Tanzen, und ich sage immer gerne, dass das Tanzen das beste Hobby der Welt ist. Denn es verbindet die sportliche Komponente mit der sozialen. Man kommt unter Leute und lernt Menschen kennen, die genauso begeistert von dieser Tätigkeit sind, wie man selbst. Außerdem macht die Bewegung zur Musik unheimlich viel Spaß und hat natürlich auch eine kreative künstlerische Komponente. Von da an war ich jeden Freitag und Samstag beim Tanzen. Am Samstag sogar immer vier Stunden am Stück auf einer Tanzparty extra für Jugendliche, und mit der Zeit habe ich mich von Tanzkurs zu Tanzkurs gearbeitet.

180-Grad-Drehung und ab in den Leistungssport

Meine Fähigkeiten wurden immer besser, und irgendwann hatte ich eine feste Tanzpartnerin (die nicht mehr meine aktuelle ist), die den Traum hatte, Turniere zu tanzen. Hier zögerte ich jedoch. War Turniertanz nicht zu leistungsbezogen für mich, gar Leistungssport, der sich eigentlich so gar nicht mit meiner Hämophilie vertragen würde?

Bereits zu dieser Zeit, als ich noch gar nicht mit dem Turniertanz angefangen hatte, habe ich nämlich ein paar negative Stimmen von Ärztinnen und Ärzten gehört, die meinten, dass das Tanzen und vor allem die kleinen Sprünge, die man z. B. im Jive vollführt, nicht gerade das Beste für mein ramponiertes Sprunggelenk seien. Das macht natürlich etwas mit einem. Versteht mich nicht falsch: Ich finde es total gut, dass mir mein damaliges Behandlungsteam nicht verboten hat, den Sport auszuüben, sondern direkt schon gemerkt hat, dass mich das Tanzen erfüllt und mir einen Mehrwert aus psychischer Sicht gibt. Dennoch würde ich sagen, dass wir Hämophile oft Menschen sind, die eher vorsichtiger durchs Leben gehen und jedes Risiko genau abwägen. Allein die Aussage, dass etwas für uns eigentlich nicht gerade gut ist, lässt uns schon darüber nachdenken, mit dieser Tätigkeit wieder aufzuhören.

So habe ich auch wirklich länger gezögert, ob ich den Weg in den Leistungssport wagen soll. Aber irgendetwas hat mir den Mut gegeben, es einfach auszuprobieren. Wenn ich nach wenigen Monaten merken sollte, dass mein Fuß das nicht mitmacht, dann kann ich ja auch wieder damit aufhören, nicht? Oh, wie bin ich im Nachhinein froh darüber, diesen Schritt gewagt zu haben. Denn ab diesem Zeitpunkt hat sich mein Leben wirklich verändert.

Positive Auswirkungen von Sport auf mein Leben

Was passierte mit den Schmerzen im Fußgelenk? Zu meiner Verwunderung wurden sie nicht mehr, sondern weniger und das sogar deutlich. Tanzen ist ein Sport für den ganzen Körper. Ich finde es auch sehr schön, dass der Tanzverein, bei dem ich bin, von Anfang an großen Wert daraufgelegt hat, einen ganzheitlichen Ansatz beim Vermitteln von Inhalten zu wählen. Nicht nur das Tanzen an sich und die Verbesserung/Perfektion der Technik wurde unterrichtet, sondern ich bekam auch zum ersten Mal einen Einblick in richtiges Aufwärmen vor dem Tanzen und Dehnen nach dem Tanzen sowie Kräftigungsübungen für die Muskulatur. All das hat dazu geführt, dass ich den Sport nicht nur sehr sicher ausüben konnte, sondern auch mit der Zeit Muskulatur – speziell im Fuß und Fußgelenk, da diese Region beim Tanzen sehr beansprucht wird – aufbauen konnte.

Heute habe ich, wenn es hochkommt, zwei bis dreimal im Monat Schmerzen im Fußgelenk und wenn dann auch nur, wenn mein Gelenk mal wieder meint, einen schlechten Tag haben zu müssen oder ich es tatsächlich sportlich einmal übertrieben habe. Ich merke aber auch, dass mein Gelenk gerade bei wenig sportlicher Betätigung wieder schlechter wird und mehr schmerzt. Generell habe ich aber durch den Sport deutlich mehr Lebensqualität zurückbekommen. Es ist zwar immer noch die Bewegungseinschränkung im Gelenk geblieben, jedoch habe ich selbst nach sportlicher Belastung oder mehrstündigen Wanderungen keine Schmerzen mehr.

Diese positiven Eigenschaften und auch die Tatsache, dass gerade der leistungsbezogene Sport mir so viel Spaß macht, haben dazu geführt, dass ich bis heute noch sehr aktiv dabei bin, mindestens viermal wöchentlich in der Tanzschule stehe und jedes Jahr auf vielen Turnieren, unter anderem der bayrischen und deutschen Meisterschaft, unterwegs bin.

Der Blick von heute und in die Zukunft:

Ich bin wirklich stolz auf mich, mit den Menschen mit normaler Blutgerinnung mithalten zu können. Sport ist für mich in den letzten Jahren zu einem essenziellen Bestandteil meines Lebens geworden, und ich kann mir momentan eine Welt ohne Sport und auch ohne Tanzen nicht vorstellen. Es ist die Zeit des Tages, in der ich mich auspowern kann und vom stressigen Alltag eines Physikstudierenden abschalten kann.

Darüber hinaus sind mir die Menschen im Verein über die Jahre ans Herz gewachsen, und es haben sich tolle Freundschaften entwickelt, besonders auch zu meiner jetzigen Tanzpartnerin. Wir bilden gemeinsam ein so gutes Team und verbringen viel und gerne Zeit miteinander. Doch wie soll das Ganze in Zukunft weitergehen?

Bereits am Anfang meiner Tanzkarriere habe ich mir geschworen, das nicht beruflich oder als Profi zu machen. Ich möchte einfach nicht von meinem Körper abhängig sein, und das ist man mehr oder weniger als Profi, wenn man mit dem Tanzen Geld verdient. Das Tanzen soll mir demnach als Hobby hoffentlich noch viele Jahre erhalten bleiben.

Speziell in das Tanzen kann man sehr viel Zeit und Geld hineinstecken, und gerade Anfang letzten Jahres habe ich wirklich viel für das Tanzen investiert und es teilweise auch übertrieben. Ich habe zu dieser Zeit sehr deutlich gespürt, dass ich auch gerne viel und hart trainiere, um das Beste aus mir und meinem Körper herauszuholen. Und ist das nicht genau das, was Leistungssport so gefährlich macht und ihm manchmal zu seinem schlechten Image verhilft?

Ich finde, dass wir als Hämophile eine Gabe mit auf den Weg bekommen haben, und zwar die Tatsache, dass uns schon recht früh in unserem Leben bewusst geworden ist, dass Gesundheit ein Geschenk ist, was nicht für alle Menschen und nicht zu jeder Zeit selbstverständlich ist. Genau auf dieses Gefühl möchte ich in Zukunft stärker vertrauen.

Ich möchte eben nicht ohne Rücksicht auf Verluste mit dem Kopf durch die Wand und meinen Körper und vor allem mein beschädigtes Sprunggelenk so früh an seine Grenzen bringen. Ich mache weiterhin sehr gern und auch viel Sport, weil ich eben auch gemerkt habe, wie das mir, meinem Gelenk und meiner Gesundheit bis zu einem gewissen Grad guttut. Ich möchte noch möglichst lange Tanzsport betreiben und so muss ich immer wieder aufs Neue abwägen und herausfinden, wann und bei welcher Intensität es für mein Fußgelenk doch zu viel wird.

Tipps und Tricks

Jetzt wollt Ihr wahrscheinlich hören, dass ich Leistungssport mit Hämophilie empfehlen kann. Das kann ich allerdings nicht so ganz. Wie so oft im Leben mit unserer Erkrankung ist auch das kompliziert. Ich möchte Euch in erster Linie mit diesem Beitrag Mut machen, neue Dinge auszuprobieren. Denn woher kann man denn wirklich wissen, ob die eine oder andere Sportart gut oder eben schlecht für einen ist, wenn man sie nicht ausprobiert hat. Ihr solltet Sport zu einem Bestandteil Eures Lebens machen, denn die positiven Effekte – gerade für Menschen mit Hämophilie – sind einfach zu stark, um sie nicht zu nutzen.

Sport kann einem helfen, gesund ins Alter zu gehen und macht – wie hoffentlich durch meinen Beitrag deutlich wurde – auch einfach so viel Spaß. Gebt sportlicher Betätigung also eine zweite, ja auch eine dritte oder vierte Chance. Es gibt so viele Sportarten, da gibt es bestimmt auch eine, die Euch liegt und Spaß macht.

Ich kann Euch aber auch nur sehr ans Herz legen, gleich von Beginn an professionelle Hilfe beim Ausführen des Sportes mit in Anspruch zu nehmen. Tretet in einen Sportverein ein, mit guten Trainierinnen und Trainern, denen Ihr Euch mit Eurer Hämophilie anvertrauen könnt und die Euch professionell anleiten, damit man das Verletzungsrisiko, gerade beim Erlernen von technischen Dingen, so gering wie möglich halten kann.

So habe ich mir auch gleich zu Beginn, als ich letztes Jahr zum ersten Mal strukturiertes Krafttraining begonnen habe, ein paar Stunden bei einer Personal Trainerin geleistet, die auch viel Ahnung von Medizin im Allgemeinen hat. Hier haben wir gemeinsam einen individuellen Trainingsplan ausgearbeitet, der speziell auch auf meine Schwächen eingeht. Im Fokus stand hier immer, die Übungen korrekt auszuführen, sodass das Verletzungsrisiko so gering wie möglich gehalten werden kann.

Und ganz zum Schluss – Ihr könnt es Euch wahrscheinlich schon denken: Redet mit Euren behandelnden Ärztinnen und Ärzten im Hämophilie-Zentrum über Eure sportlichen Vorhaben. Denn die Therapie sollte natürlich an die sportliche Aktivität angepasst sein. Seid mutig und besteht darauf, den Sport, den Ihr Euch vorstellt, zumindest einmal ausprobieren zu können.

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