Unser Leben mit schwerer Hämophilie A – wie wir mit unserem Sohn über seine Erkrankung sprechen

Meine Frau und ich – Marcel – haben mit unseren Sohn Moritz von Beginn an ganz offen über seine Hämophilie A gesprochen. Hier erzähle ich Euch, wie das abgelaufen ist.

Gleich vorweg: Ab dem Moment, wenn man sein eigenes Kind zum ersten Mal in den Armen hält, passiert etwas Unbeschreibliches. Etwas in einem verändert sich. Man wächst über sich hinaus, wird plötzlich zum Superhelden auf zwei Beinen. Viele vermeintliche Probleme und Herausforderungen verlieren auf einmal an Bedeutung. Warum? Weil es nicht mehr um einen selbst geht. Es geht nur noch darum, mit dem, was jetzt ist, das Bestmögliche zu machen.

Als wir während der Schwangerschaft die Diagnose erhielten, dass unser Sohn Moritz schwere Hämophilie A haben wird, war das ein Schock. Ein einschneidender Moment, der uns als Familie geprägt hat. Zu hören, dass das eigene Kind mit einer heute noch unheilbaren chronischen Erkrankung zur Welt kommen wird, ist niederschmetternd. Es fühlt sich unfair an. Und ja, im ersten Moment war es einfach nur scheiße.

Wir Menschen neigen dazu, in Worst-Case-Szenarien zu denken. Auch ich. Ich hatte zwei Fragen, die mich nicht mehr losließen:

  1. Wie mache ich mir selbst klar, was da gerade passiert?
  2. Wie und wann erkläre ich meinem Kind, dass es schwer krank ist?

Ich war überfordert. Aber wir hatten Glück. Glück, dass wir bei uns in der Nähe ein exzellentes Hämophilie-Zentrum haben – mit einer engagierten Spezialistin, die uns in der Schwangerschaft aufgefangen, aufgeklärt und beruhigt hat. Und ab dem Moment, als Moritz das Licht der Welt erblickte, wussten wir: Es ist unsere Aufgabe, ihn bestmöglich auf das Leben vorzubereiten. Wie genau, das wussten wir damals nicht – aber vieles hat sich ganz natürlich entwickelt.

Von Anfang an Teil unseres Lebens

Dank der frühen Betreuung durch das Hämophilie-Zentrum waren wir schon während der Schwangerschaft gut informiert. Die Geburt fand in der Klinik statt, in der auch das Zentrum ansässig ist – so war Moritz von Anfang an medizinisch optimal versorgt.

Mit sechs Monaten begann seine Prophylaxe – also die regelmäßige Gabe einer medikamentösen Therapie, die eine Art künstliche Blutgerinnung herbeiführt. Seitdem gehört das Spritzen zu unserem Alltag. Natürlich sind diese Momente nicht schön. Es gibt Schmerzen beim Stechen, Tränen und manchmal auch Frust. Aber es gehört eben dazu. Für Moritz und auch für uns ist es längst Routine geworden.

Wie sprechen wir mit Moritz über seine Erkrankung?

Uns war von Anfang an wichtig, dass Moritz versteht, was in seinem Körper passiert – ohne Angst, aber mit Wissen. Schon im ersten Lebensjahr haben wir begonnen, kindgerecht mit ihm über die Hämophilie zu sprechen. Aufklärende Bücher und Comics von Pharmafirmen, Patientenorganisationen oder auch Patientenkampagnen wie Active A waren dabei eine große Hilfe. Wir haben ihm vorgelesen, erklärt und Parallelen zu seiner Situation gezogen.

Ab dem dritten Lebensjahr begann er zu begreifen, dass er anders ist. Und was „schwere Hämophilie“ bedeutet. Wir erklären ihm bis heute vieles mit Vergleichen: „Dir fehlt der Kleber im Blut“, oder „Dein Blut braucht eine kleine Superkraft“. Es sind einfache Bilder – aber sie helfen ihm, zu verstehen, warum er regelmäßig Spritzen bekommt und warum er in manchen Situationen vorsichtiger sein muss.

Unsere Gespräche über die Erkrankung sind meist situativ, selten lang oder schwer. Sätze wie „Du weißt, warum Du hier etwas mehr aufpassen musst?“ oder „Es ist okay, dass Du das machst, aber sei bitte vorsichtig – Du weißt ja, warum“, gehören zu unserem Alltag. Wir nehmen ihm die Angst, ohne das Thema kleinzureden.

Die Hämophilie als Begleiter – nicht als Mittelpunkt

Seit seinem sechsten Lebensmonat begleiten uns regelmäßige Kontrolltermine im Hämophilie-Zentrum. Moritz kennt die Abläufe, kennt die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte – es ist fast wie ein zweites Zuhause geworden. Die Hämophilie ist ein ständiger Begleiter in unserem Leben. Aber sie ist nicht der Mittelpunkt. Und das soll sie auch nie sein.

Die große Kunst besteht darin, einem Kind klarzumachen, dass es anders ist – ohne ihm das Gefühl zu geben, ausgeschlossen oder „falsch“ zu sein. Wir lassen Moritz viele Erfahrungen selbst machen und lassen ihn mitentscheiden, wenn Risiken abgewogen werden müssen. Natürlich sind wir immer in der Nähe, wenn etwas passiert. Aber dieses Vertrauen in ihn – und in die Wirkung seiner Therapie – gibt ihm wichtigen Freiraum.

Weiß Moritz, was er hat?

Ja, ganz klar. Er weiß, dass sein Blut nicht so schnell gerinnt wie das der anderen Kinder. Er weiß, dass er bei Verletzungen mehr aufpassen muss. Dieses Wissen ist für uns essenziell. Denn nur wenn er versteht, wie sein Körper funktioniert, kann er selbst Situationen richtig einschätzen und Entscheidungen treffen. Und genau das wünschen wir uns für ihn: Dass er Verantwortung für sich übernehmen kann, ohne sich ausgeliefert zu fühlen.

Geht Moritz offen mit seiner Erkrankung um?

Sehr sogar. Er spricht offen und mit einer beneidenswerten Selbstverständlichkeit über seine Hämophilie. Vielleicht, weil er es nie anders kannte. Vielleicht aber auch, weil wir als Eltern nie ein Geheimnis daraus gemacht haben. Wir definieren ihn nicht über seine Erkrankung – sie ist ein Teil seines Lebens, aber nicht sein Leben und sie macht ihn nicht aus.

Auch sein Umfeld kennt die Hämophilie. Wir erklären es, wenn es nötig wird, knapp und sachlich – ohne Drama und ohne Panik. Die Reaktionen könnten unterschiedlicher nicht sein. Erwachsene reagieren oft schockiert, Kinder hingegen nehmen es völlig unaufgeregt zur Kenntnis. Auch der Kindergarten hat Großartiges geleistet. Aufklärung bei Eltern und Kindern, Integration ohne Sonderstatus – und Moritz ist mittendrin statt nur dabei. Auch beim regelmäßigen Kindergartensport. Auch hier sei erwähnt, dass unsere Hämophilie-Spezialistin in den Kindergarten kam und die Voraussetzung für diese Situation geschaffen hat.

Unser Schlüssel: Offenheit und Vertrauen

Für uns als Familie ist Offenheit der Schlüssel im Umgang mit der Erkrankung. Natürlich gibt es auch schwierige Tage. Nächte, in denen Moritz aus dem Bett fällt und mit dem Kopf aufschlägt – was dann eben einen Krankenhausaufenthalt nach sich zieht. Aber es gibt zum Glück noch viel mehr Tage, an denen die Hämophilie kaum eine Rolle spielt.

Wir wollen, dass Moritz weiß: Ja, er hat eine chronische Erkrankung. Aber er ist trotzdem stark, fröhlich und frei. Er ist nicht weniger als andere – nur eben ein bisschen anders. Und das ist vollkommen okay.

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