Für Eltern: Welche sozialen Hilfs- und Unterstützungsangebote gibt es für mich und mein Kind?

Für Eltern: Welche sozialen Hilfs- und Unterstützungsangebote gibt es für mich und mein Kind?

Das Leben mit einem körperlich oder geistig beeinträchtigten oder chronisch kranken Kind kann herausfordernd sein. Kommen neben einer ersten Diagnose wie beispielsweise der Hämophilie noch weitere Diagnosen hinzu, zum Beispiel ADHS, Autismus oder andere, wird das Leben noch abenteuerlicher.

Für Familien mit Kindern mit Hämophilie sind die Hämophilie-Zentren und Patientenorganisationen, wie die Deutsche Hämophiliegesellschaft (DHG), in der Rainer Mitglied ist, die ersten Anlaufstellen. Daneben gibt es noch weitere Unterstützungsangebote. Wir arbeiten uns Stand Januar 2024 auch bereits seit Jahren durch den „Unterstützungs-Dschungel“. Es ist nicht immer einfach und unserer Erfahrung nach hängt sehr viel vom Willen, dem Wohlwollen und dem Engagement auf Seiten des „Hilfesystems“ ab.

Ich möchte Euch dennoch gerne einige Unterstützungsangebote kurz vorstellen, mit denen wir als Eltern Erfahrungen gesammelt haben. Zu einigen Punkten habe ich meine eigenen Erfahrungen niedergeschrieben und worauf zu achten ist. Diese Liste ist nicht vollständig und möglicherweise heißen die Unterstützungsangebote in Eurer Region oder Eurem Bundesland etwas anders. Ich schreibe hier über den weiteren Umkreis um die Stadt Mainz in Rheinland-Pfalz.

Integrative Kindertagesstätte

In einer Integrativen Kita gibt es eine oder mehrere integrative Gruppen. In diesen werden Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen betreut und gefördert. Eine bestimmte Anzahl an Plätzen in einer Integrativen Kita ist Kindern mit Beeinträchtigungen vorbehalten. Der Personalschlüssel ist ein anderer als in einer Regel-Kita und sie haben oft ein größeres Einzugsgebiet als Regel-Kitas.

In der Integrativen-Kita unseres Sohnes gab es vier betreuende Personen für 15 Kinder. Es arbeiten Heilpädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher sowie Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger dort. Oft kommen Therapeutinnen und Therapeuten, z. B. für Ergotherapie oder Logopädie, in die Kita, um die Therapien dort durchzuführen. Manchmal sind zusätzlich für Kinder mit hohem Unterstützungsbedarf noch Integrationskräfte anwesend.

Der Vorteil einer integrativen Gruppe ist, dass Kinder mit Beeinträchtigungen oder chronischen Erkrankungen, die nicht ständige Unterstützung und Aufsicht benötigen, dort gut aufgehoben sind. Es wird auf die Bedürfnisse des Kindes eingegangen, ohne dass das Kind von einem einzelnen Erwachsenen „beaufsichtigt“ wird oder es in eine Sonderrolle kommt.

Unseren Sohn haben wir zuerst für den Regelbereich in der Integrativen Kita angemeldet. Es zeigte sich, dass er sich anders entwickelte. Sprachlich, im sozialen Miteinander und im Alltag benötigte er viel mehr Unterstützung als andere Kinder und nach einem Jahr wechselte er mit Integrationsstatus (I-Status) in die integrative Gruppe. Den Antrag für den I-Status hat die Kita für uns ausgefüllt und bei der Eingliederungshilfe eingereicht. Für uns Eltern war das eine sehr entlastende Situation, da er ganztags in der Kita betreut werden konnte und dort auch regelmäßig seine Therapien hatte.

Durch die Hämophilie von Rainer kam ich mit der Bezugserzieherin unseres Sohnes ins Gespräch, die auch Heilpädagogin ist. Sie erzählte mir, dass sie bereits vor Jahren ein Kind mit Hämophilie gut betreut hätten.

Fahrdienst zur Kita

Ist die Integrative Kita weit weg von Eurem Zuhause und Euer Kind hat einen I-Status, gibt es die Möglichkeit, dass ein (Sammel-)Fahrdienst Euer Kind zu Hause abholt, zur Kita und wieder nach Hause bringt. Wir haben den Fahrdienst nicht in Anspruch genommen, weil die Integrative Kita bei uns in der Nähe war.

Integrationskraft (I-Kraft)

Integrationskräfte unterstützen ein Kind mit Beeinträchtigungen, am Alltag in der Kita teilzunehmen. Insbesondere für Kinder, die noch mehr Unterstützung benötigen, als eine Integrative Kita leisten kann oder für Kinder mit Beeinträchtigungen, die in einem Regel-Kindergarten sind, ist eine I-Kraft sehr hilfreich. Auch in der Schule sind I-Kräfte tätig. In unserer Stadt wird die I-Kraft bei der Eingliederungshilfe beantragt, die dem Jugendamt zugeordnet ist. Den Antrag gibt es oft im Internet.

Pflegegrad

Bei einem Kind mit einer Beeinträchtigung, Behinderung oder chronischen Erkrankung ist es möglich, einen Pflegegrad bei Eurer Krankenkasse bzw. Pflegekasse zu beantragen. Bei der Beantragung wird geschaut für welche Tätigkeiten Euer Kind mehr Hilfe und Unterstützung benötigt als altersgerecht entwickelte Kinder. Mit einem Pflegegrad erhaltet Ihr finanzielle Hilfen und Sachleistungen zur Unterstützung für den erhöhten Pflegeaufwand.

Den Antrag findet Ihr auf der Homepage Eurer Krankenkasse und schickt ihn ausgefüllt wieder zurück. Bei gesetzlich Versicherten beauftragt die Krankenkasse oder Pflegekasse dann den Medizinischen Dienst (MD) für ein Gutachten. Der MD meldet sich dann für einen Termin bei Euch zu Hause. Zum Termin kommt eine Gutachterin oder ein Gutachter und macht sich ein Bild von der Pflegesituation mit Eurem Kind und dokumentiert das Ganze. Begutachtende Personen des MD sind oft Kinderkrankenpflegerinnen oder -pfleger oder kommen aus dem Pflegebereich.

In dem Gutachten steht auch der vorgeschlagene Pflegegrad. Das Gutachten wird vom MD an die Krankenkasse oder Pflegekasse geschickt, die sich mit einem Bescheid bei Euch meldet. Wichtig zu wissen: Wurde für Euer Kind ein Pflegegrad 2 oder höher festgestellt, bekommt Ihr für Euer Kind Pflegegeld ab Antragstellung. Das heißt auch rückwirkend, wenn die Begutachtung schon länger her ist, weil die Krankenkassen vielleicht mehr Zeit für die Bearbeitung des Antrags benötigt hat. Arbeitslosen- und Rentenversicherung für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegende – also Ihr – werden ab Pflegegrad 2 von der Pflegekasse entrichtet, wenn Ihr nicht bereits durch eine andere Tätigkeit abgesichert seid (z. B. Teilzeit-Tätigkeit).

Pflegestützpunkte

Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Pflegestützpunkt in unserer Stadt gemacht. Sie haben uns sehr geholfen, als es um das Ausfüllen der Anträge für den Pflegegrad ging. Außerdem haben sie uns zu den Begutachtungsgesprächen mit dem Medizinischen Dienst beraten und tun es auch heute noch, wenn die Wiederbegutachtung alle zwei Jahre ansteht. Meist läuft das Gespräch telefonisch ab und wir gehen die Fragebögen gemeinsam durch. Man bekommt auch Tipps für das Begutachtungsgespräch. Denn vieles ist für Eltern so selbstverständlich im Alltag, obwohl es im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern nicht selbstverständlich ist und für den Medizinischen Dienst Pflegemehraufwand darstellt. Hier könnt Ihr eine Beratungsstelle in Eurer Nähe suchen.

Begutachtung durch den Medizinischen Dienst für einen Pflegegrad

Diese findet bei Euch zu Hause statt. Es ist wichtig, dass Ihr deutlich benennt, wo Euer Kind Unterstützung benötigt. Auch wenn es manchmal unangenehm ist, solltet Ihr nichts verharmlosen oder „beschönigen“. Insbesondere als Mutter schafft man selbstredend viel allein, hat alles unter Kontrolle und unterschätzt die zusätzliche Arbeit bzw. redet sie klein. Bei den Gutachtergesprächen gilt es, von dieser Einstellung wegzukommen.

Ich empfehle Euch, bereitet Euch auf das Gespräch mit dem MD vor. Lasst Euch bei den Pflegestützpunkten beraten und informiert Euch auf der Website des Medizinischen Dienstes Eures Bundeslandes.

Überlegt, was Ihr zusätzlich tun müsst, im Vergleich zu einem gesunden Kind. Was müsst Ihr alles vorbereiten, z.B. für das Spritzen bei einem hämophilen Kind? Wie ist die Reaktion Eures Kindes? Wehrt es sich oder schreit es beim Spritzen?

Wie sieht die Situation aus, wenn es sich in der Kita verletzt? Usw. Die begutachtende Person will auch Euer Kind sehen bzw. sich mit ihm unterhalten und je nach Alter schauen, wie Ihr mit dem Kind interagiert. Bei uns war es Windeln wechseln bei unserem damals 3-Jährigen und bei der Wiederbegutachtung hat die Gutachterin mit unserem Sohn im Zimmer gespielt und sich mit ihm unterhalten, um zu schauen, wie er reagiert. Wie sich die Gutachterin oder der Gutachter mit Eurem Kind beschäftigt, ist aber von Fall zu Fall unterschiedlich.

Ich habe mir für die Gespräche immer ein Argumentationsleitfaden geschrieben, mit kurzen Stichpunkten und Beispielen dazu, damit ich im Begutachtungsgespräch nichts vergesse. Außerdem habe ich mir alle Arztbriefe zurechtgelegt. Da stehen Informationen drin, die für das Gutachten wichtig sind.

Mutter-Kind-Kuren/Vater-Kind-Kuren

Das sind Maßnahmen, die als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht sind und sollen Euch ermöglichen, mit den dortigen Unterstützungsangeboten die Belastungen des Alltags besser meistern zu können. In der Regel werden drei Wochen von der Krankenkasse genehmigt. Während der Kur habt Ihr die Möglichkeit, unabhängig vom Alltag Zeit mit Eurem Kind zu genießen, Anwendungen zu bekommen und professionelle Gesprächsangebote zu nutzen.

Ich habe mich über eine Mutter-Kind-Kur auf der Website des Müttergenesungswerks informiert. Danach habe ich mich bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) telefonisch zu einer Kur beraten lassen.

Anträge für Mutter-Kind-Kuren oder Vater-Kind-Kuren bekommt Ihr bei Eurer Hausärztin oder Eurem Hausarzt, die oder der den Antrag mit Euch ausfüllt. Schickt die Dokumente an Eure Krankenkasse. Ihr könnt Euch in der Zwischenzeit über die Kliniken informieren. Ich hatte mir meine Klinik über die Website des Müttergenesungswerks ausgesucht. Es gibt auch andere Anbieter, wie das Mutter-Kind-Hilfswerk oder Ihr recherchiert selbst nach für Euch passenden Kliniken im Internet.

Bei uns verlief das Antragsverfahren bei der Krankenkasse reibungslos. Die Krankenkassen haben oft eigene Datenbanken mit Kliniken. Das muss aber nicht immer eine vollständige Liste sein. Die Klinik, die ich gewählt habe, war bei meiner Krankenkasse nicht gelistet. Das war aber kein Problem. Die Krankenkasse hat sich nach meinem Klinikwunsch gerichtet und die Bewilligung für die Mutter-Kind-Kur kam schnell.

Wenn Ihr spezielle Hilfen aufgrund der Hämophilie Eures Kindes benötigt, ruft am besten selbst bei Eurer Wunschklinik an und fragt, wie die Unterstützung ist. In den Kur-Kliniken arbeiten oft Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger. Je nach Stadt oder Ort, den Ihr ausgewählt habt, ist vielleicht auch eine Klinik bzw. ein Krankenhaus in der Nähe. An dem Standort, an dem ich meine Kur mit meinem Sohn verbracht habe, war die Klinik 15 Minuten zu Fuß entfernt. Es gab auch die Möglichkeit, einen kostenfreien Fahrdienst der Kur-Klinik zu nutzen.

Die Kur-Kliniken bieten pädagogische Kinderbetreuung an, mindestens während Eurer Therapiezeit, manche auch darüber hinaus. Schulkinder werden, wenn sie auch an der Kur-Maßnahme teilnehmen, von der Schule beurlaubt. In vielen Kliniken gibt es eine Hausaufgabenbetreuung.

Burnout und Depression

Ist Euch über mehrere Monate einfach alles zu viel und Ihr kommt aus dem „Sumpf“ nicht mehr allein raus, sind Hausärztinnen und -ärzte Eure ersten Ansprechpersonen. Sie stellen Euch, wenn nötig eine Überweisung für Psychotherapeuten bzw. -therapeutinnen oder Kliniken mit entsprechendem Schwerpunkt aus.

Die Wartezeit für einen Therapieplatz ist unter Umständen sehr lang. Meine Empfehlung: Es gibt systemisch arbeitende Paar- und Familientherapeutinnen und -therapeuten, bei denen schneller ein Platz zu bekommen ist. Sie bieten auch Einzelberatungen an. Sie unterstützen Euch zum einen, die Herausforderungen innerhalb Eurer Familie und der sozialen Umgebung zu verstehen. Zum anderen helfen sie Euch dabei, eigene Lösungen zu finden. Es lohnt sich, auch auf den Websites kirchlicher Träger oder Mütter- und Familienzentren zu schauen und sie ggf. direkt anzuschreiben oder anzurufen. Oftmals bieten sie kostenfreie Beratungsangebote an, die von Psychologinnen und Psychologen oder Sozialarbeiterinnen und -arbeitern mit Zusatzausbildung angeboten werden.

Kontakte zu Paar-, Familien- und Einzelberatungsangeboten

Profamilia

Mütter- und Familienzentren

Kirchliche Träger, wie Diakonie und Caritas in Eurer Region oder Eurem Bundesland: In unserer Stadt gibt es zum Beispiel eine Evangelische Psychologische Beratungsstelle. Dort kann sich jeder beraten lassen. Ob und welcher Religion man angehört, spielt keine Rolle.

Arbeiterwohlfahrt (AWO)

Mehrgenerationenhäuser

Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB): Ich möchte hier gerne darauf hinweisen, weil uns eine Familie mit einem Kind mit Hämophilie darauf aufmerksam gemacht hat.

Wenn auch Ihr Erfahrungen mit sozialen Hilfs- oder Unterstützungsangeboten gemacht habt, die Euch geholfen oder weitergebracht haben, lasst es uns bei Active A gerne wissen. Auch wenn Angebote Euch nicht in der Weise geholfen haben, wie gewünscht, ist die Erfahrung, die Ihr gemacht habt, wichtig. Vielleicht hilft genau diese Erfahrung dafür anderen Eltern weiter. Meldet Euch gerne.

Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück.

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