Nachdem wir überraschend erfahren haben, dass ich Konduktorin für schwere Hämophilie A bin (siehe „Mein Kind hat Hämophilie A“), machten wir uns natürlich Gedanken, ob wir wirklich noch ein zweites Kind möchten. Zum einen wussten wir nicht, ob für mich ein Risiko bei der Geburt besteht, zum anderen mussten wir uns erst mal darüber klar werden, ob wir auch zwei erkrankte Kinder stemmen können. Außer der Hämophilie gibt es natürlich noch andere Erkrankungen. Was wäre also, wenn wir ein Kind bekommen, welches eine andere Erkrankung hat? Könnten wir dem gerecht werden?
Ebenso machten wir uns Gedanken, was wäre, wenn wir ein gesundes Kind bekommen. Wie würde das für unseren ersten Sohn sein, wenn sein Geschwisterchen nicht gespritzt werden müsste? Ebenfalls fragten wir uns, was wir bei einer Schwangerschaft mit einem potenziell hämophilem Kind beachten müssen. Wie wird die Geburt ablaufen? Brauche ich einen geplanten Kaiserschnitt? Wird mir mein Kind direkt nach der Geburt wieder weggenommen? Elians Geburt war leider sehr unschön und er musste schlussendlich mit der Saugglocke geholt werden und danach nahmen ihn die Kinderärzte direkt für weitere Untersuchungen mit. Nach nicht mal einem Tag wurde er ohne mich in ein anderes Krankenhaus verlegt, da nur dort eine Hirnblutung ausgeschlossen werden konnte. Dort musste er mehrere Tage bleiben, bis er wieder zu mir durfte.
Gibt es Dinge, die wir dieses mal nicht mehr bei der Geburt machen dürfen? Kann man in der Schwangerschaft schon auf Hämophilie testen? Wenn ja, wie und mit welchem Risiko?
Das erste Gespräch im Hämophilie-Zentrum gab mir Hoffnung
Unser erster Schritt führte uns zu meinem Hämatologen im Hämophilie-Zentrum. Ich machte explizit einen Termin, um mich über eine potenzielle weitere Schwangerschaft beraten zu lassen. Wichtig für mich war, dass ich keinen geplanten Kaiserschnitt benötige, da ich davor große Angst habe. Auch wollten wir im Krankenhaus bei uns entbinden und eine Doula (geburtserfahrene Frau, die während der Schwangerschaft und Geburt unterstützt, jedoch keine medizinische Ausbildung und Verantwortung hat) sollte bei der Geburt dabei sein.
Mein Hämatologe meinte zum Glück gleich, dass für mich kein Risiko bestehe, da mein Faktorwert im Normbereich liegt. Daher stehen mir geburtstechnisch alle Wege offen. Laut ihm ist auch das Risiko für das Baby gleich hoch, egal ob es eine vaginale Geburt oder ein Kaiserschnitt wird. Auch einer Geburt in unserem Krankenhaus stehe nichts im Wege. Natürlich empfiehlt er, dass wir in der Uniklinik, an die das Hämophilie-Zentrum angeschlossen ist, das Kind bekommen, aber schlussendlich sei es unsere Entscheidung. Dadurch beruhigt, starteten wir das Projekt Kinderwunsch.
Gemischte Reaktionen aus unserem privaten Umfeld
Aus unserem Umfeld erhielten wir ganz unterschiedliche Reaktionen auf meine erneute Schwangerschaft. Manche fanden es im positiven Sinne sehr mutig von uns, dass wir uns nochmal darauf einlassen. Andere meinten, dass wir nun selbst schuld seien und nicht jammern dürften, wenn wir wieder ein hämophiles Kind bekommen würden. Auch sei es ja unserem Großen gegenüber unfair, wenn wir jetzt schon auf Hämophilie testen würden und uns dann gegen das Kind entscheiden würden. Dies stand für uns aber NIE zur Debatte. Wir würden das Kind bekommen – egal ob mit oder ohne Hämophilie. Wir möchten uns nur darauf vorbereiten.
Info
Informiere Dich frühzeitig über die verschiedenen Therapieoptionen bei Hämophilie A. Die Forschung schläft nicht, und es kommen immer wieder neue Behandlungsmöglichkeiten auf den Markt oder bestehende Medikamente erhalten eine Zulassungserweiterung. Vielleicht ist da auch für Dich eine besser passende Option dabei.
Auch gab es Sprüche, dass man sich ab einer gewissen Wahrscheinlichkeit für eine Behinderung ja generell gegen eine Schwangerschaft entscheiden sollte. Solche Aussagen fand ich sehr taktlos, da auch Kinder mit einer Behinderung ein Recht auf Leben haben und es immer noch die Entscheidung der Eltern ist. Hämophilie Kinder können heute ein fast normales und vor allem ein lebenswertes Leben führen.
Ernüchterung beim zweiten Termin im Hämophilie-Zentrum
Beim nächsten Termin im Hämophilie-Zentrum war ich dann schon schwanger. Dieses Mal war es ein anderer Arzt, welcher ganz erstaunt war, welche Aussagen mein Hämatologe getroffen hat. Im Großen und Ganzen hätte dieser zwar Recht, er hätte solche Aussagen nur gar nicht treffen dürfen. Ängstlich fragte ich gleich nach, ob ich dann doch einen Kaiserschnitt benötigen würde. Dies verneinte er zum Glück, er empfahl allerdings, dass ich doch in der Uniklinik entbinden sollte. Zwingen kann er uns natürlich nicht, aber er legte es mir nahe. Außerdem wollte er sich informieren, wie man bereits in der Schwangerschaft auf Hämophilie testen könne. Zeitgleich hieß es auch bei unserem Krankenhaus plötzlich, dass Doulas doch nicht erlaubt seien.
Die Situation war für uns nicht einfach. Ich war bereits schwanger und alles, was für uns eine Voraussetzung für eine zweite Schwangerschaft gewesen war, stand jetzt auf der Kippe. Auch das Gespräch mit der Ärztin von Elian, unserem ersten Sohn, war sehr ernüchternd. Sie empfahl uns dringend, im Hämophilie-Zentrum zu entbinden, da nur dort die richtige Versorgung gewährleistet wäre. Sollten wir woanders entbinden wollen, könne sie uns nicht helfen. Das fanden wir sehr schade. Wir hätten uns gewünscht, dass die Hämophilie-Behandlerin das andere Krankenhaus über die Dos and Don‘ts bei der Geburt aufklärt. Ich habe schön gehört, dass das durchaus so üblich ist.
Für mich war nicht klar, warum ich unbedingt beim Hämophilie-Zentrum entbinden sollte. Wir nehmen zur Geburt Bedarfsmedikamente mit, und die kann auch unser Krankenhaus im Akutfall spritzen. Danach können wir immer noch zum Hämophilie-Zentrum fahren. Dieses liegt nur eine Stunde von uns entfernt. Würde ich dort entbinden, müssten wir viel früher losfahren, damit – falls es schnell gehen sollte – das Kind nicht im Auto auf die Welt kommt. Ich wollte allerdings so spät wie möglich ins Krankenhaus fahren, damit so wenig Interventionen wie möglich gemacht werden, da ich von der ersten Geburt noch traumatisiert bin.
Pränatale Untersuchungen
Von meinem Hämatologen erfuhren wir, dass man mittels einer Fruchtwasserpunktion (Amniozentese) auf Hämophilie testen könne. Wir hatten bereits den Harmony®-Test gemacht (Bluttest bei Schwangeren, der Abweichungen in der Chromosomenanzahl aufzeigt, z. B. Trisomie 21) und wussten, dass wir wieder einen Jungen bekommen würden. Also machte ich einen Termin zur Feindiagnostik aus, um zu besprechen, welche Risiken eine Amniozentese mit sich bringt.
Beim Termin wurde sich sehr viel Zeit für mich genommen. Erst wurde nach anderen Auffälligkeiten geschallt und dann wurde die Fruchtwasserpunktion besprochen. Es besteht das Risiko, dass durch die Punktion Wehen ausgelöst werden können oder dass man das Kind treffen könnte. Da für uns keine Eile mit der Punktion bestand, vereinbarten wir, dass ich ab der 36. Schwangerschaftswoche zur Punktion vorbeikommen sollte. Davor sollte ich der Ärztin noch meine Befunde schicken, damit sie genau weiß, auf was getestet werden soll.
Schwierig war, dass die Gynäkologin keine Fachärztin für Hämophilie ist, und ich somit erst mal wieder viel Aufklärungsarbeit leisten musste. Ein paar Wochen später bekam ich eine Mail von der Ärztin, dass die Testergebnisse bis zu 4. Wochen dauern konnten. Daher entschieden wir uns, doch schon in der 32. Woche zu testen, da ich die Ergebnisse vor der Geburt wollte. Für die Geburt an sich brauchte ich die Ergebnisse nicht. Wir gehen einfach von einem hämophilen Kind aus. Allerdings wollte ich es für mich schon davor wissen, damit ich im Wochenbett nicht wieder damit überrascht werde.
Info
Eine rechtzeitige Therapie ist wichtig, um von Beginn an Spontanblutungen zu verhindern und eine funktionierende Blutgerinnung zu gewährleisten. So kann das Risiko von möglichen Folgeschäden minimiert werden. Informiere Dich, welche Therapien auch schon bei Neugeborenen zum Einsatz kommen können.
Fruchtwasserpunktion für mehr Gewissheit
In der 32. Woche ging ich mit meinem Mann also zur Punktion und war super aufgeregt. Nach dem Eingriff sollte ich nicht allein sein und kein Auto fahren. Auch sollte ich mich mindestens zwei Tage schonen, um das Risiko für verfrühte Wehen zu minimieren. Wieder wurde lange geschallt mit dem Ergebnis, dass es nirgends eine Stelle gab, an der man gefahrlos punktieren konnte. Das Baby lag noch mit dem Kopf nach oben und überall, wo man hätte punktieren können, war entweder die Nabelschnur oder zu wenig Fruchtwasser. Also entschieden wir uns, dass ich in der nächsten Woche noch einmal kommen sollte. Um die Fruchtwassermenge zu steigern, sollte ich viel trinken.
Leider war das Ergebnis in der nächsten Woche genau das gleiche. Er lag immer noch mit dem Kopf nach oben und das Risiko, ihn bei der Punktion zu treffen, war einfach zu groß. Die Ärztin würde es zwar machen, wenn ich es möchte, aber für mich war das Risiko nicht gerechtfertigt. Insgeheim hoffte ich, dass dies ein Zeichen war, dass unser Sohn gesund war. Nochmal versuchten wir es nicht, da für den Termin immer ein ganzer Vormittag drauf geht, und ich auch unseren Großen irgendwo unterbringen musste.
In Teil 2 erfahrt ihr wie es weitergeht.
Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück.
M-DE-00022526