Das Gen für den bei Hämophilie A relevanten Faktor VIII liegt auf dem X-Chromosom und wird von Eltern an Kinder weitervererbt. Liegt ein Defekt in diesem Gen vor, wird auch dieser an die Kinder weitergegeben. Wie genau das mit der Vererbung funktioniert, erfährst Du hier. Die Chancen, dass die Tochter einer Konduktorin selbst zur Konduktorin wird oder dass der Sohn an Hämophilie erkrankt, liegen demnach jeweils bei 50 Prozent.
Frauen können zwar auch an Hämophilie erkranken, das ist jedoch extrem selten.1 Relativ häufig hingegen sind sie Konduktorinnen, d. h. Überträgerinnen der Erkrankung. Sie haben ein defektes und ein intaktes Gen für den Faktor VIII. Häufig reicht ein funktionierendes Faktor-VIII-Gen aus, um eine ausreichende Blutgerinnung zu ermöglichen. Jedoch haben ca. ein Drittel aller Konduktorinnen reduzierte Faktor-VIII-Werte (< 0,4 IU/ml Faktor-VIII-Aktivität) 2, weswegen es zu einer verlangsamten Blutgerinnung kommen kann.
Aufgrund dieser Tatsache ist es sinnvoll, dass auch Konduktorinnen über einen Notfallausweis verfügen. Dieser sollte die folgenden wichtigen Informationen enthalten:
- Form der Gerinnungsstörung
- eventuelle medikamentöse Therapien
- kontraindizierte Medikamente
- sowie die Kontaktdaten des zuständigen Hämophilie-Zentrums bzw. der betreuenden Hämostaseologin oder des betreuenden Hämostaseologen.
Ausprägung der Hämophilie bei Konduktorinnen
In der Regel wird bei Konduktorinnen genügend Faktor VIII produziert, sodass es zu keinen schwerwiegenden Blutungsereignissen kommt. Trotzdem können Symptome einer reduzierten Faktor-Aktivität auftreten, meist vergleichbar mit einer leichten Hämophilie:1,4
- Vermehrtes Auftreten von Hämatomen (auch bei leichten Stößen)
- Häufiges und/oder starkes Nasenbluten
- Erhöhte Blutungsneigung nach kleinen Verletzungen
- Starke und/oder langanhaltende Menstruationsblutung
- Nachblutungen bei Operationen oder Zahnentfernung
- Verstärkte Blutungen während oder nach einer Geburt
Welche dieser Symptome wie stark auftreten, hängt von der restlichen Faktoraktivität ab.
Diagnose von Hämophilie-Konduktorinnen
Ist ein Fall von Hämophilie in einer Familie bekannt, sollte in Betracht gezogen werden, dass Töchter Konduktorinnen sein könnten und eine entsprechende Gerinnungsdiagnostik durchgeführt werden. Idealerweise sollte die Diagnose des Konduktorinnen-Status und die Bestimmung der Faktor-Aktivität vor der ersten Periode stattfinden, um die junge Teenagerin frühzeitig aufzuklären und eventuelle negative psychische Folgen einer verstärkten Monatsblutung abzuwenden. Gerade bei der ersten Periode kann der Schock groß sein.1
Die Diagnose kann u. a. mithilfe von genetischen Untersuchungen und einer Faktor-VIII-Aktivitätsbestimmung erfolgen. Mehr zum Thema „Diagnose“ erfährst Du hier. Die Faktor-VIII-Aktivitätswerte können sich sowohl zwischen Konduktorinnen als auch zeitlich bei einer Konduktorin sehr unterscheiden. Die schwankenden Werte sind u. a. dadurch begründet, dass Faktor VIII ein Akute-Phase-Protein ist. Das bedeutet, dass er aufgrund von Ereignissen, wie z. B. einer Verletzung, für einen gewissen Zeitraum im Organismus mehr vorhanden ist als normalerweise.5 Deswegen sollte bei Konduktorinnen regelmäßig die Faktor-Aktivität bestimmt werden – besonders, wenn ein geplanter Eingriff ansteht, um entsprechende Maßnahmen zu treffen.1
Therapieoptionen für Konduktorinnen
Abhängig von der Faktor-VIII-Aktivität können auch Konduktorinnen eine Hämophilie-Therapie erhalten. In der Regel sind Bedarfsbehandlungen bei akuten Blutungen ausreichend. Folgende medikamentöse Therapien können bei Konduktorinnen zum Einsatz kommen:1
Substitutionstherapie
Dabei wird der fehlende Faktor VIII durch künstlichen, im Labor hergestellten Faktor ersetzt (substituiert) und intravenös verabreicht. Die Faktor-VIII-Ersatztherapie ist auch bei Konduktorinnen eine sichere, effektive und gut steuerbare Behandlung. Dabei kann das Medikament sowohl in einem Hämophilie-Zentrum als auch selbstständig zu Hause verabreicht werden – abhängig davon, wie häufig diese Medikamentengaben notwendig sind und ob die Frau gelernt hat, sich selbst eine intravenöse Injektion zu verabreichen.1,4
Tranexamsäure
Tranexamsäure (TXA) ist ein Antifibrinolytikum. Das bedeutet, dass es den Abbau von Blutgerinnseln (bestehend aus Fibrin) hemmt. TXA kann gut bei kleinen Schleimhautblutungen verabreicht werden, etwa bei Blutungen der Nasen-, Mund-, Darm- oder Gebärmutterschleimhaut. TXA kann beispielsweise bei Zahnbehandlungen zum Einsatz kommen.1,4
Desmopressin
Desmopressin (DDAVP) ist ein Antidiuretikum und der künstliche Nachbau des Hormons ADH. Aufgrund seiner verschiedenen Wirkmechanismen hat DDAVP unterschiedliche Einsatzgebiete. U. a. sorgt es für eine vermehrte Freisetzung des von-Willebrand-Faktors und somit zu einem drei- bis fünffachen Anstieg des Faktor-VIII-Spiegels. Der Anstieg ist umso höher, je höher der Ausgangswert von Faktor VIII ist. Dadurch wird die Gerinnungsfähigkeit des Blutes zeitlich begrenzt erhöht. Leichte Blutungsereignisse und kleine Eingriffe können mit DDAVP behandelt werden.1,4
Hormonelle Verhütungsmittel
Ist die Regelblutung sehr stark, können hormonelle Verhütungsmittel wie die Pille oder die Spirale helfen. Sie reduzieren häufig die Dauer und Stärke eine Periodenblutung.1
Einfluss der Hämophilie auf Schwangerschaft und Geburt
Ein Konduktorinnen-Status ist weder eine Einschränkung für eine normale Schwangerschaft noch für eine natürliche Geburt. Die Entscheidung, ob eine vaginale Geburt oder ein Kaiserschnitt durchgeführt werden soll, kann individuell entschieden werden.1 Allerdings empfiehlt sich die Überwachung der Schwangerschaft und die Planung der Entbindung mit Unterstützung eines Hämophilie-Zentrums und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Ärztinnen und Ärzten.4
Häufig kommt es bei Hämophilie-A-Konduktorinnen während der Schwangerschaft sogar zu einem Anstieg der Faktor-VIII-Aktivität – bis hin zu Normalwerten zum Entbindungstermin. Trotzdem sollten regelmäßig die Faktor-VIII-Werte bestimmt werden. Sind die Gerinnungswerte bekannt, können bei Bedarf entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, wie z. B. eine Faktor-Ersatztherapie oder DDAVP.1
Ob das Kind der Konduktorin selbst eine Konduktorin ist oder Hämophilie hat, kann schon vor oder auch erst nach der Geburt festgestellt werden. Vor der Geburt können pränataldiagnostische Untersuchungen zum Einsatz kommen:6-8
- Bei der Plazenta-Punktion (Chorionzottenbiopsie) wird etwas Gewebe aus dem Bereich entnommen, in dem die Plazenta in die Nabelschnur übergeht. Dieses Gewebe ist genetisch identisch zu dem des Embryos und kann somit auf genetische Veränderungen hin untersucht werden. Die Chorionzottenbiopsie ist früher einsetzbar (12. bis 14. Schwangerschaftswoche) als die Amniozentese.
- Bei der Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) werden Fruchtwasser inklusive Zellen des ungeborenen Kindes entnommen. Die Zellen können dann genetische genauer untersucht werden. Sie kann in der 15. und 16. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.
- Bei der Nabelschnurpunktion (Chordozentese) wird Blut des Fötus aus der Nabelschnur entnommen und dieses dann untersucht. Diese Untersuchung ist ab der 20. Schwangerschaftswoche möglich.
Das empfiehlt sich besonders bei männlichen Föten, um zu wissen, ob bei der Geburt besonders auf Blutungen beim Kind geachtet werden muss.1
Checkliste für operative Eingriffe oder Geburten
Hier findest Du eine Checkliste, die Dich bei der Vorbereitung auf eine Operation oder eine Entbindung unterstützen kann:1
- Ist Dein Notfallausweis vollständig ausgefüllt und auf einem aktuellen Stand?
- Hast Du die Ergebnisse der letzten/aktuellen Gerinnungsuntersuchung?
- Gibt es – falls notwendig – einen Therapieplan Deiner behandelnden Ärztin bzw. Deines behandelnden Arztes speziell für diesen Eingriff?
- Liegen Kontraindikationen für gerinnungsunterstützende Medikamente vor?
- Hat das Krankenhaus für Notfälle Faktor VIII auf Lager?
- Kann das Krankenhaus entsprechende Gerinnungsuntersuchungen durchführen?
- Wie geht es mit der Gerinnungstherapie nach der Entlassung aus dem Krankenhaus weiter?
Info
Für Konduktorinnen empfiehlt es sich, bei einer Schwangerschaft und anstehender Geburt sowie bei geplanten operativen Eingriffen, stets in Kontakt mit dem behandelnden Hämophilie-Zentrum zu sein und die einzelnen Schritte gemeinsam mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt gut zu planen.
Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück.
Quellen:
- Oldenburg J. und Goldmann G. Die Konduktorin am Beispiel der Hämophilie. Forum Sanitas. 2024; 1:15–17
- van Galen KPM et al. A new hemophilia carrier nomenclature to define hemophilia in women and girls: Communication from the SSC of the ISTH. J Thromb Haemost 2021; 19:1883–1887
- Srivastava A et al. WFH Guidelines for the Management of Hemophilia, 3rd edition. Haemophilia 2020; 26(Suppl 6):1–158
- https://www.dhg.de/fileadmin/dokumente/sonderdrucke/Haemophilie.pdf, zuletzt abgerufen am 15.05.2024
- https://flexikon.doccheck.com/de/Akute-Phase-Protein, zuletzt abgerufen am 15.05.2024
- https://flexikon.doccheck.com/de/Chorionzottenbiopsie, zuletzt abgerufen am 06.06.2024
- https://flexikon.doccheck.com/de/Amniozentese, zuletzt abgerufen am 06.06.2024
- https://flexikon.doccheck.com/de/Nabelschnurpunktion , zuletzt abgerufen am 06.06.2024
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