Auch ohne Hämophilie bedarf es für eine schöne Reise die richtige Vorbereitung. Gut, mit Hämophilie halt ein bisschen mehr. Es gibt leider flächendeckend betrachtet nicht viele Ärzte oder Ärztinnen, die sich mit dem Krankheitsbild auskennen. Zum Glück sind die wenigen Spezialist:innen weltweit gut miteinander vernetzt. Wir nutzen eine App namens „HaemTravel“. In der App findet man für ziemlich alle Länder der Welt die jeweiligen Hämophilie-Spezialist:innen mit Angabe der ärztlichen Niederlassung. Ebenfalls findet man in der App nützliche Tipps zum Thema Reisen samt Checklisten für eine optimale Planung.
Wo liegt das nächste Hämophilie-Zentrum?
Haben wir ein Reiseziel ins Auge gefasst, schauen wir zuerst, ob und wie weit entfernt sich ein Hämophilie-Zentrum von dem Ort befindet. Uns persönlich ist es wichtig, dass dieses nicht mehr als 2 bis 3 Stunden vom Zielort entfernt ist. Aber das ist Ansichtssache. Wer sich unsicher fühlt, sollte sich dann doch ein Ziel vielleicht maximal eine Stunde entfernt suchen.
Im Sommer 2022 sind wir in die Türkei verreist. Das Hämophilie-Zentrum in der Region befand sich in Antalya. Unser Hotel lag ca. 2 Stunden entfernt. In einem Notfall kann das Behandlungsteam oder das Krankenhaus von den Spezialisten aus Antalya auch aus der Ferne unterstützt werden.
Zurück zur Planung. Wissen wir, wo sich die Hämophilie-Spezialist:innen befinden, kontaktieren wir diese per Mail über die in der App angegebenen Kontaktdaten. Wir geben dann an, von wann bis wann wir unseren Urlaub planen. Ebenfalls teilen wir die Adresse der Unterkunft mit. Wir geben den Schweregrad der Hämophilie unseres Sohnes an und welche medikamentöse Therapie er erhält, samt Rhythmus der Verabreichung. Da wir immer eine Notfallmedikation mit uns führen, geben wir auch hier an, was er genau im Notfall erhält. Wir stellen zusätzlich die Frage, ob Auszüge aus der Krankenakte gewünscht sind. Hier gab es bisher für uns unterschiedliche Erfahrungen. Manche Hämophilie-Zentren wünschen diese, andere wiederum nicht. Wenn gewünscht, kann Euch Euer Behandlungsteam alles Notwendige zusammenstellen.
Transport der Medikamente
Im nächsten Schritt planen wir, was es beim Transport der notwendig mitgeführten Medikation zu beachten gilt. Bei Reisen mit dem eigenen PKW transportieren wir die Medikamente in einer speziellen Medikamentenkühltasche. Die Kühlakkus reichen bei unserem Taschensystem für ca. 30 bis 36 Stunden, je nach Außentemperatur. Mit dem PKW ist der Transport relativ einfach.
Bei Flugreisen verhält es sich etwas schwieriger. Wir kontaktieren im Vorfeld die Airline mit der Anfrage/Anmeldung der Medikation, damit wir diese ggf. mit an Bord nehmen dürfen. Da unsere Notfallmedikation mit einem Spritzenset innerhalb der Verpackung ausgestattet ist, gibt es hier erst mal Schwierigkeiten aufgrund der Sicherheitsbestimmungen der Flughäfen und Airlines. Unsere Erfahrung zeigt leider auch, dass der Kundenservice vieler Airlines sehr schlecht aufgestellt ist und man froh sein kann, wenn man überhaupt rechtzeitig eine Antwort erhält.
Aber für diesen Fall bereiten wir uns folgendermaßen vor: Wir beschaffen uns Zolldokumente. Dabei werden wir von dem Pharmakonzern unterstützt, der die Medikamente herstellt, die unser Sohn einnimmt. Dieser liefert uns diverse Vorlagen an Zolldokumenten, allesamt in verschiedenen Sprachen. Für die Türkei war ebenfalls eine Vorlage in den Sprachen Deutsch/Englisch/Türkisch dabei. Unser behandelnder Hämophilie-Spezialist hat die Dokumente für uns ausgefüllt und beglaubigt. Hiermit sind wir ohne Probleme an den deutschen und ausländischen Flughäfen mit der Notfallmedikation durch die Sicherheitskontrollen gekommen sowie an Board der Airline.
Die Stewardessen fragen wir dann nett, ob wir das Notfallmedikament während des Fluges im Board-Kühlschrank aufbewahren und ob wir die Kühlakkus tiefkühlen können. So können wir hier noch mal Zeit für die Kühlung im Anschluss rausholen. Im Zuge der Kühlung ist es wichtig, nicht nur auf die reine Flugzeit zu achten, sondern auch die Zeiten wie Anreise zum Flughafen oder vom Zielflughafen bis zur Unterkunft mit einzuplanen. Denn man ist hier insgesamt bei einer Reise innerhalb Europas schon mal schnell 8 bis 10 Stunden unterwegs, internationale Reisen können schon mal zwischen 15 und 25 Stunden dauern.
Planung der Unterkunft
Haben wir uns ein nettes Domizil ausgesucht, kontaktieren wir dieses vor der Buchung und klären folgende Punkte ab:
- Allgemeine Aufklärung über die Erkrankung unseres Sohnes
- Verfügt die Unterkunft über ausreichende und zugängliche Kühlmöglichkeiten für die Medikationen? WICHTIG: Die Minibar im Hotelzimmer ermöglicht oft keine ausreichende Kühlung der Medikamente, da sie meist wärmer als ein herkömmlicher Kühlschrank ist.
- Die Medikation muss in den Kühlschrank, die Kühlakkus müssen tiefgekühlt werden. Wie kann das gewährleistet werden? Z. B. in der Hotelküche oder im Rezeptionsbüro? Gibt es – wenn nötig – 24/7 einen Zugang?
- TIPP: Am besten mit der Unterkunft eine Hand voll Angestellte aussuchen, die aufgeklärt sind und sich um die Kühlung und Ausgabe der Medikation kümmern.
Bisher waren hier alle Hotels immer sehr hilfsbereit und haben Lösungen ausgearbeitet. In der Türkei hat der Hotelmanager uns sogar den Zugang in sein Büro organisiert, da er die Verwahrung der Kühlakkus sowie der Medikamente zur Chefsache gemacht hatte.
Mein Fazit
Natürlich schränkt die Hämophilie das Reisen etwas ein. Aber mit der richtigen Planung und Vorbereitung steht einem unvergesslichen Abenteuer nichts im Wege. Man sollte sich im Vorfeld gut über die medizinischen Standards eines Landes informieren. Denn es gibt Unterschiede in der medizinischen Qualität einzelner Länder. So gibt es Länder, in die wir ohne die Hämophilie in unserem Leben unbedenklich reisen würden, aber mit der Hämophilie in unserem Alltag nicht, da wir unseren Sohn keinem medizinischen Risiko aussetzen wollen.
Und was zu tun ist, wenn doch mal vor Ort etwas schiefläuft und es einer medizinischen Versorgung bedarf, erfahrt Ihr in meinem nächsten Erfahrungsbericht zum Thema Reisen.
Unsere Checkliste für eine gelungene Urlaubsplanung
Zum Abschluss noch eine kurze Zusammenfassung aller wichtigen Punkte, damit der Urlaub ein voller Erfolg wird:
- Auslandskrankenversicherung im Rahmen einer Familienversicherung abschließen
- Ausreichend Medikamente für die Reise einpacken
- MHD der Medikamente vor der Reise checken
- Je nach Therapieform so planen, das unmittelbar vor Antritt der Urlaubsreise gespritzt wird, und man sich so einen Teil der Medikation für den Transport sparen kann
- Das nächstgelegene Hämophilie-Zentrum am Urlaubsziel kontaktieren
- Bei Bedarf Zollpapiere anfertigen
- Anbieter der Unterkunft kontaktieren und die ordentliche Verwahrung der Medikamente und Kühlung klären
- Ggf. Airline im Vorfeld kontaktieren und abklären, ob die Medikation und die Kühlakkus an Bord des Flugzeuges gekühlt werden können
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