Wie die Hämophilie-Therapie festgelegt wurde

Wie die Hämophilie-Therapie festgelegt wurde

Ich bin Simone und mein Sohn Elian hat schwere Hämophilie A. In diesem Beitrag erzähle ich Euch, wie es zu unserer Therapieentscheidung kam.

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Disclaimer

Das hier sind Erfahrungen und Erklärungen, welche wir von unserem Hämophilie-Zentrum erhalten haben. Natürlich kann es in anderen Zentren anders gehandhabt werden. Bitte lasst Euch immer von Euren behandelten Ärztinnen und Ärzten gut aufklären!

Viele verschiedene Möglichkeiten – welche ist die richtige?

Direkt nach Elians Diagnose, damals war er drei Monate alt, wurden uns alle Therapiemöglichkeiten aufgezeigt. Es gibt die Faktortherapie und die non-Faktortherapie. Auch bei den Faktortherapien gibt es wieder verschiedene Varianten. Jede Möglichkeit hat Vor- und Nachteile, die wir als Eltern abwägen mussten. Eine wirkliche Vorgabe bzw. Empfehlung seitens des Behandlungsteams gab es nicht. Wir recherchierten selbst und lasen viele Studien und Erfahrungsberichte. Auf der einen Seite ist es schön, dass wir als Eltern mitentscheiden dürfen. Auf der anderen Seite waren wir gerade am Anfang damit überfordert. Was ist, wenn wir uns falsch entscheiden? Gibt es überhaupt ein richtig oder falsch? Welche ist die beste Therapie für Elian? Und auch für uns Eltern? Schließlich müssen wir die Therapie auch vertreten können. Gerade der psychische Aspekt machte mir Sorgen. Wie macht Elian das Ganze mit?

Viele Termine – viele Fragen

Die Diagnose erhielten wir, als wir aufgrund anhaltender Blutungen erneut im Krankenhaus waren. Am ersten Tag bekamen wir nur kurz die Diagnose, da es schon spät am Abend war. Mein Mann und ich recherchierten in der Nacht sehr viel, um möglichst alles über die Hämophilie zu erfahren, da wir bereits am nächsten Tag den ersten Termin mit dem Behandlungsteam hatten. Leider gingen die Termine immer nur ca. eine Stunde. Daher versuchten wir, diese Zeit so effektiv wie möglich zu nutzen und bereiteten uns gut auf die Termine vor. Nur so konnten alle Fragen gestellt und auch beantwortet werden.

Am nächsten Tag wurden uns die Behandlungsmöglichkeiten vorgestellt. Auch hier waren wir erst mal mit den ganzen neuen Fachbegriffen überfordert. Schließlich hatten wir davor noch nie so detailliert von Hämophilie gehört. Nach diesem Gespräch recherchierten wir wieder selbstständig. Wir lasen viele Studien, schauten YouTube-Videos an und sprachen natürlich auch mit unseren Familien und Freunden. Eine Freundin von mir arbeitet in einer Apotheke, die auch Hämophilie-Patienten beliefert und konnte uns somit auch ein bisschen von dieser Seite berichten.

Im dritten Gespräch, am Tag darauf, konnten wir wieder unsere neuen Fragen stellen. Wir hatten viele Verständnisfragen zu den Therapiemöglichkeiten. Was sind die Folgen für Elian? Wie ist der zeitliche Aufwand? Inwieweit werden wir und Elian in unserem normalen Alltag eingeschränkt? Wann starten wir am besten mit der Behandlung? Wo wird diese durchgeführt? Müssen wir dafür immer ins Hämophilie-Zentrum fahren oder kann unser Kinderarzt die Behandlung durchführen? Auch so ganz banale Fragen wie z. B., ob ich wieder arbeiten gehen kann oder wie Elian in Zukunft betreut wird, tauchten auf. Der Tagesmutter habe ich bereits im Krankenhaus abgesagt. Auf was müssen wir im Alltag generell bei ihm achten? Ab wann ist ein blauer Fleck behandlungsbedürftig? Auch Themen wie einen Notfallausweis und einen Behindertenausweis besprachen wir mit dem Behandlungsteam.

Laut unseres Behandlungsteams sollte Elian am besten immer einen Helm tragen, um mögliche Kopfverletzungen vorzubeugen. Am Anfang versuchten wir das, ließen es aber bald sein, da für uns die Nachteile überwogen. Auch Knieschoner lehnten wir ab. Allerdings polsterten wir gefährliche Ecken und Kanten zu Hause gut ab. Elian dürfe auch ganz normal in eine Kita gehen, solle aber am besten von einer Integrationskraft begleitet werden. Die Behandlung könne bei der Kinderärztin stattfinden, wenn sie dies machen möchte. Somit blieb uns ein langer Fahrtweg erspart.

Unsere ersten Entscheidungen

Die erste Entscheidung, die wir treffen mussten, war allerdings, ob bzw. wann wir mit der Therapie beginnen wollen. Auch hier gab es wieder keine Vorgaben, was es uns nicht leicht machte. Da Elians Hand nach der Blutabnahme aber dick geworden war und nicht besser wurde, entschieden wir uns, mit der plasmatischen Faktorgabe zu beginnen. Das heißt, dass der fehlenden Faktor VIII aus menschlichem Blut gewonnen wird. Im Gegensatz zur rekombinanten Faktortherapie (hier wird der Faktor künstlich hergestellt) soll dadurch die Wahrscheinlichkeit für Hemmkörper verringert werden. Allerdings können damit auch diverse Blutkrankheiten übertragen werden. Da heutzutage Blutkonserven sehr gut kontrolliert werden, wog für uns das Risiko der Hemmkörper schwerer.

Als Elian entlassen werden sollte, mussten wir uns entscheiden, ob wir mit der Prophylaxe weitermachen möchten, oder erst wieder, wenn eine Blutung auftritt. Unser Hämophilie-Zentrum empfahl uns, eine Prophylaxe beizubehalten, um Elian vor Blutungen zu schützen.

Gemeinsame Therapieentscheidung

Im Großen und Ganzen bin ich froh darüber, dass wir viel mitentscheiden dürfen. Ich finde, dass wir als Eltern gerade dadurch hinter der Therapie stehen und dies auch unserem Sohn vermitteln können. Vor allem verstehen wir selbst, warum es nötig ist. Das macht es erträglicher, wenn die Medikamentengabe mal etwas schwieriger ist. Auf der anderen Seite fühlten und fühlen wir uns mit den ganzen Entscheidungen auch oft überfordert. Normalerweise geht man zur Ärztin oder zum Arzt, bekommt eine Diagnose und ein Rezept und macht das, was verschrieben wurde. Manchmal wünsche ich mir, dass wir einfach gesagt bekommen, was wir machen sollen. Da es bei den Therapiemöglichkeiten allerdings kein richtig und kein falsch gibt, ist es schlussendlich unsere Entscheidung, wie wir es handhaben möchten, die Ärztinnen und Ärzte können uns lediglich die Möglichkeiten aufzeigen und Empfehlungen aussprechen.

Zwischenzeitlich sind wir selbst kleine Expertinnen bzw. Experten geworden, informieren uns auch immer weiter und besprechen neue Erkenntnisse mit dem Behandlungsteam. Dies erfordert allerdings sehr viel Zeit, was gerade – wenn noch andere Prioritäten auf der Liste stehen – sehr anstrengend ist. Schwierig wird es auch, wenn unser Behandlungsteam doch eine andere Meinung als wir vertritt. Gegen einen ärztlichen Rat möchte man schließlich nicht handeln – schon gar nicht, wenn es um ein kleines Kind geht. Dann muss ein Kompromiss gefunden werden, mit dem alle einverstanden sind. Natürlich können wir auch unsere Meinung durchsetzen, allerdings handeln wir dann auf eigene Verantwortung und das möchten wir nicht vertreten. Daher haben wir bisher immer den Kompromiss gesucht und zum Glück auch immer einen gefunden.

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