Eine Reise

Eine Reise ins Ungewisse – unterwegs ohne Notfallmedikament! 

Ich bin Marcel, Vater von einem Sohn mit schwerer Hämophilie A. Eigentlich gehen wir sehr gewissenhaft mit der Erkrankung und der Therapie um, aber manchmal schlägt einem die Routine doch ein Schnippchen. Was passiert ist, erzähle ich in diesem Beitrag.

Wir befanden uns gerade fünf Kilometer hinter der holländischen Grenze, als meine Frau am Steuer laut „F*ck!“ schrie! Die Vollbremsung und der gefühlt hektische Wechsel auf den Seitenstreifen ließen mich das Armaturenbrett liebkosen. Typisch Mann, konnte ich die Flut der Informationen nicht verarbeiten, und fragte mich, was abging. Es war für eine Sekunde still. Den Satz „Wir haben das Notfallmedikament zu Hause vergessen!“ verarbeitete ich dann doch schnell. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter, nun hatte ich es mit einer Mutter in Sorge um ihr Kind zu tun – die Situation war explosiv! 

Schwere Hämophilie ist keine Krankheit, mit der man leichtfertig umgeht. Eine kleine Verletzung kann unkontrollierte Blutungen verursachen, die – abhängig davon, wo sie sich befindet – ohne sofortige Behandlung lebensbedrohlich sein kann. Unser Sohn lebt mit schwerer Hämophilie A. Schnell erklärt bedeutet das, dass er so gut wie keine Blutgerinnung hat. Verlassen wir für längere Zeit das Haus, packen wir eine Notfallmedikation ein. Zwar erhält unser Sohn eine Dauerprophylaxe, durch die er weitestgehend vor Blutungen geschützt ist, doch bei schwerwiegenden Verletzungen reicht die manchmal nicht aus und dann brauchen wir das Notfallmedikament. Deshalb haben wir das bei längeren Ausflügen oder im Urlaub immer dabei.

Packen für den Urlaub – und das Notfallmedikament nicht vergessen 

Es war der Morgen unseres ersten Urlaubstages. Ich hatte Geburtstag. Wir freuten uns – wie jedes Mal – unsere Ferienimmobilie in Holland an der Nordsee zu besuchen. Nach 4 Jahren hat sich unser Leben mit der Hämophilie ziemlich gut eingespielt. Was uns im Alltag selbst nicht auffällt, ist der Umstand, dass wir ehrlich gesagt doch zu oft in eine gewisse Routine im Umgang mit der Erkrankung verfallen. Es schafft zwar Entspannung, trübt aber auch die Sensibilität.  

In dieser Routine packten wir unsere Siebensachen. Da wir zeitig loswollten – wie das immer so ist mit der Urlaubsfahrt – verfielen wir in positive Urlaubshektik. Meine Frau packte die Notfallmedikation und stellte die Medikamentenkühltasche in den Kühlschrank. Beim Autoladen dachte ich, sie hat die Tasche eingepackt. Sie wiederum dachte das auch von mir und bei Abfahrt blieb die Tasche im Kühlschrank zurück.  

In unserer alltäglichen Routine haben wir den „Double Check“ vergessen. In so einem Fall geht es nicht um die Schuldfrage, die Verantwortung tragen wir immer zusammen. Es lag auch mit in meiner Verantwortung, meine Frau an der Stelle beim Packen zu unterstützen – und sei es auch nur mit der Frage „Haben wir die Notfallmedikamente ins Fahrzeug gepackt?“ 

Wir in Holland, die Tasche zu Hause – was jetzt?

Wieder zurück zu unserer angespannten Lage hinter der holländischen Grenze: Das einzig entspannte im Fahrzeug war unser Sohn, dem der Ernst der Lage in seinem kindlichen Alter nicht bewusst war. Schnell mussten wir einen Plan austüfteln. Was tun? Entweder vier Stunden zurückfahren oder eine Stunde weiterfahren und mit dem Wissen, dass sich ein Hämophilie-Zentrum in der Nähe der Stadt Breda befindet, einen Plan aus der Ferienimmobilie heraus aufstellen?  

Da es schon recht spät war, entschieden wir uns weiterzufahren. Allerdings fühlte sich ohne Notfallmedikation ab jetzt jeder gefahrene Meter unsicher an. Wir machten uns Vorwürfe. Wie konnte das passieren? Bei jedem Tagesausflug verlassen wir das Haus mit Notfallmedikation und ausgerechnet jetzt nicht, wenn wir in Urlaub fahren! Wir telefonierten mit meinen Eltern. Mein Vater bot an, die Notfallmedikation bei uns zu Hause abzuholen und uns nach Holland zu bringen. Das war ein tolles Angebot, was uns gefühlte Sicherheit gab. Ebenfalls überlegten wir, ob es eine postalische Möglichkeit per Express gab. Nach Rücksprache mit der Post war dies aber nicht so einfach möglich, da Wochenende war.  

Die rettende Idee

Auf einmal schoss meiner Frau ein Gedanke durch den Kopf. Eine Bekannte aus dem Reitstall hatte beiläufig erwähnt, dass sie Sonntag nach Holland fährt, ca. eine Stunde von unserem Aufenthaltsort entfernt. Könnte sie vielleicht das Medikament mitbringen? Wir hatten keine Kontaktdaten. Also telefonierten wir rum und fragten uns bei vorhandenen Kontakten aus dem Reitstall durch. Schließlich kamen wir an die Telefonnummer. Uns fiel eine Last von der Seele, als sie uns sagte, dass es kein Problem sei und sie gerne helfen würde.  

So organisierten wir, dass meine Eltern das Medikament zu der Bekannten brachten. Den Sonntag mussten wir noch ausharren, aber am Montag trafen wir uns mit der Bekannten und kamen so an die Notfallmedikation für unseren Sohn. Letztlich bekamen wir so unser Gefühl der Sicherheit wieder zurück und konnten den Urlaub, samt ausgedehnter Tagesausflüge, genießen. Die Notfallmedikation mussten wir glücklicherweise nicht benutzen.  

Lektion gelernt: Hämophilie A ist keine Routine 

Was nehmen wir aus den Erlebnissen unseres Hollandurlaubes für uns mit? Wir durchleben die Hämophilie unseres Sohnes gemeinsam als Familie. Der heutige Stand der Medizin verschafft uns zwar Freiraum, dennoch sind wir an gewisse Dinge wie klare Regeln im Umgang mit der Erkrankung, Medikationen und Menschen (z. B. Fachärztinnen und Fachärzte) gebunden.  

Die Routine schleicht sich still und heimlich ein. Dieser Vorfall hat uns auf eine unangenehme Weise gezeigt, wie gefährlich Routine im Umgang mit einer schweren Erkrankung sein kann. Wir haben gelernt, dass wir niemals etwas dem Zufall überlassen dürfen und dass es immer gut ist, einen Notfallplan zu haben, besonders wenn wir uns in einem fremden Land befinden. 

Wir hoffen, dass unsere Geschichte anderen Familien in ähnlichen Situationen weiterhilft, immer vorbereitet zu sein. Aber sie soll auch Zuversicht spenden, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die bereit sind zu helfen. Auch wenn unser Urlaub in Holland zu Beginn anders verlief als geplant, sind wir dankbar, dass wir diese Situation gut überstanden haben. Eine Erfahrung war es allemal.  

Holland und mein Geburtstag – keine gute Kombination

Ein Jahr später: Wir befanden uns gerade auf der Heimfahrt nach Deutschland, ca. fünf Kilometer entfernt von unserer holländischen Ferienimmobilie, als meine Frau am Steuer laut „Sch***e!“ rief. Wir waren gerade in der Kurve, die wir schon seit 20 Jahren regelmäßig bei der Heimfahrt fuhren, und nahmen einen dicken, spitzen Pflasterstein mit, der da sonst nicht war. Der Reifen platzte, die Felge riss ein und wir waren gestrandet. Frau, Schwiegermutter und Sohn waren „not amused“. Die Situation war explosiv! Und es war wieder mein Geburtstag. 

Checkliste für die Reiseplanung: Was tun, wenn man die Notfallmedikation für den Urlaub vergessen hat?

Fehler in der Routine können immer mal passieren, an der Stelle sind wir alle nur Menschen. Deswegen gebe ich Euch hier ein paar Tipps meinerseits mit auf den Weg, was die Reiseplanung und das Verhalten im Fall der Fälle betrifft. 

Reiseplanung: 

Notfallmedikation vergessen – was tun? 

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