Der Weg zur Diagnose und die Unsicherheit meiner Eltern
Die Hämophilie wurde bei mir diagnostiziert, als ich etwa 1,5 Jahre alt war. Meine Mutter wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sie Überträgerin für die Erkrankung ist, denn die Hämophilie war für mehrere Generationen in meiner Familie nicht mehr aufgetreten.
Als ich einen unglücklichen Unfall mit einem Metallregal hatte, wurde ich für die Diagnosestellung in ein recht kleines Krankenhaus, welches sich nicht mit Hämophilie auskannte, eingewiesen. Die Ärztinnen und Ärzte haben meinen Eltern damals gesagt, dass ich mit einer Faktorrestaktivität von 4 % ein relativ normales Leben führen könnte und ich nur im Notfall Unterstützung durch Medikamente bräuchte. Leider wurde meinen Eltern damals nicht gesagt, dass es in Deutschland – und fast auf der ganzen Welt – spezielle Zentren gibt, die sich um Menschen, die Hämophilie haben, kümmern und eine wahre Expertise in diesem Bereich besitzen.
Das ist auch der erste und vielleicht offensichtlichste Punkt bezüglich einer fehlenden Zentrumsanbindung: Meine Eltern hatten keine kompetenten Ansprechpersonen, die mir und ihnen im Notfall hätten zur Seite stehen können. Wir hatten auch lange keinen Zugang zu Faktorpräparaten, die mir im Ernstfall gut geholfen hätten.
Folgen von geringen Faktorspiegeln im Alltag
Ich habe schon recht früh gemerkt, dass mein Körper mit einer Faktorrestaktivität von nur 4 % nur bedingt zurechtkam. Als mir z. B. die Milchzähne ausgefallen sind, haben diese Wunden tagelang nicht aufgehört zu bluten. Wir sind dann von Arztpraxis zu Arztpraxis getingelt, aber leider hatten alle keine Ahnung von Hämophilie. Das hat im Nachhinein auch einiges mit mir gemacht. Ich hatte schnell ein schlechtes Bild von Ärztinnen und Ärzten. Ich habe mich in ihrer Gegenwart sehr unwohl gefühlt, da ich oft die Erfahrung gemacht habe, dass man mir mit meinem Anliegen nicht helfen konnte. Daher habe ich mich Ärztinnen und Ärzten gegenüber immer sehr zurückhaltend und misstrauisch verhalten. Ein Verhalten, mit dem ich selbst heute mit 25 Jahren noch zu kämpfen habe.
Ich habe mich bereits in jungen Jahren recht zerbrechlich gefühlt. Oft war die Angst vor Verletzungen und Blutungen groß. Ich wollte mich auf keinen Fall einem Risiko aussetzen, was zu einer Verletzung führen könnte, da ich ja wusste, dass es im Notfall bei Ärztinnen und Ärzten, die sich nicht mit der Erkrankung auskennen, auch keine adäquate Hilfe gab. Ein kompetentes Hämophilie-Zentrum an meiner Seite hätte meine und die Ängste meiner Eltern bestimmt lindern können. Auch heute noch habe ich diese Ängste, die manchmal stärker und manchmal schwächer ausgeprägt sind, mich aber ab und an davon abhalten, gewisse Aktivitäten auszuüben, da ich das Risiko für Verletzungen zu groß einschätze. Nichtsdestotrotz bin ich dankbar, dass nie wirklich schlimme Verletzungen in der Kindheit und Jugend aufgetreten sind, die z. B. eine Operation zur Folge gehabt hätten.
Der Weg ins Hämophilie-Zentrum
Meine geringe Faktorrestaktivität hat mich dann auch nicht davor bewahrt, dass bereits in der Kindheit die ersten Gelenkblutungen vorgefallen sind, die nicht als solche erkannt wurden und zu einer Schädigung des linken Sprunggelenks geführt haben. Als ich mit 12 Jahren die letzte große Gelenkblutung hatte und dadurch nicht mehr laufen konnte, hat meine Mutter den Entschluss gefasst, eine Expertin oder einen Experten zu finden, die sich mit meiner Erkrankung auskannten. Dabei hat sie dann per Zufall ein Hämophilie-Zentrum gefunden, dessen Mitarbeitende ihrerseits relativ verwundert waren, dass wir nicht schon früher bei ihnen vorstellig geworden sind. Glücksgefühle und eine wahnsinnige Erleichterung machten sich bei mir und meinen Eltern breit, als ich endlich einfacheren Zugang zu Medikamenten für die Hämophilie hatte. Ich wurde von den Ärztinnen und Ärzten dort gleich unter eine Prophylaxe gestellt, da sich schon eine hämophile Arthropathie im Sprunggelenk gebildet hatte und man so das Gelenk vor weiteren Einblutungen schützen wollte.
Meine Empfehlung: Geht ins Hämophilie-Zentrum!
Abschließend kann ich jedem nur empfehlen, in einem Hämophilie-Zentrum vorstellig zu werden – bei mittelschwerer und selbst bei milder Hämophilie, und das gilt auch für Konduktorinnen. Es ist wichtig, seinen Faktorspiegel bestimmen zu lassen und für den Notfall zu wissen, an wen man sich wenden kann. Das hätte mir und meinen Eltern viel Leid und unangenehme Stunden erspart und evtl. auch dazu geführt, die jetzt bestehenden Schäden im Sprunggelenk zu verhindern.
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