Die Eltern meiner Oma
Meine im Jahr 1923 geborene Oma hat mir erzählt, dass der Bruder ihrer Mutter an Hämophilie litt. Der Bruder hatte zwei Töchter. Die eine Tochter hatte – wie ich auch – einen hämophilen Sohn, der aber leider sehr früh verstarb. Die zweite Tochter hatte es anders geregelt: Aus Angst, einen hämophilen Sohn zu bekommen, hat sie ein Kind adoptiert. Zur damaligen Zeit wusste unsere Familie nicht so genau, ob und wie es vererbt werden kann. Daher war das Adoptieren die Schlussfolgerung. Mir haben sie immer erzählt, dass die Ärzte ihnen davon abgeraten hatten, überhaupt Kinder zu bekommen.
Die Kinder meiner Oma
Meine Oma hat 3 Kinder bekommen – 2 Jungs und ein Mädchen. Das Mädchen wurde zuletzt geboren, meine Mutter. Der erste Junge kam 1948 zur Welt. Zwei Jahre später bekam meine Oma einen weiteren Jungen. Alle dachten, dass die beiden Kinder gesunde Jungs waren. Doch kurz nach der Geburt des zweiten Kindes hatte der ältere Bruder seine erste Einblutung. Auf diese Weise erfuhren meine Großeltern, dass er von der Hämophilie betroffen waren. Man wusste zu der Zeit zwar, dass es die Frauen übertragen, aber es war unklar, wie hoch die Wahrscheinlichkeit tatsächlich ist. Außerdem war es zur damaligen Zeit noch nicht üblich, den Konduktorinnenstatus vorher bestimmen zu lassen.
Die Schwangerschaften meiner Mutter
Meine Mutter war zuerst mit mir schwanger und froh, dass es ein Mädchen wurde. Zehn Jahre später wurde meine Mutter erneut schwanger, das war im Jahr 1984. Dieses Mal wurde ihr zu einer Fruchtwasseruntersuchung geraten, durch die sie dann erfuhr, dass es ein Junge werden sollte.
Sie wäre damals eine der ersten Frauen gewesen, die eine Untersuchung in London machen lassen sollte, um zu prüfen, ob das Ungeborene eine Hämophilie hat. Zu dieser Zeit war es in Deutschland noch nicht möglich oder erlaubt, diese Untersuchung durchführen zu lassen.
Ihr wurde dann aber gesagt, dass sie im Voraus einem Schwangerschaftsabbruch zustimmen müsse, für den Fall, dass es ein Junge würde, bei dem man Hämophilie feststellt. Das Bangen ging los, aber mein Bruder kam gesund zur Welt.
Ich wollte Gewissheit
Bei mir was das ganz anders: Ich hatte oft blaue Flecken und Nasenbluten gehabt, wozu meine Mama und meine Oma immer sagten, das sei ganz normal. Trotzdem wollte ich schon so um meinen 18. Geburtstag herum genau wissen, ob ich Konduktorin bin. Es ging mir darum, etwas Gewissheit zu haben, ob meine Kinder Hämophilie bekommen könnten oder nicht. Als unsere Zwillinge auf die Welt kamen und Jonas die Diagnose Hämophilie A erhielt, war sehr schnell klar, dass wir auch unsere Tochter untersuchen lassen würden. Zu dieser Zeit wurden auch meine Mutter und ich an das Hämophilie-Zentrum angebunden. Am Anfang waren unsere Besuche noch nicht so regelmäßig, aber seit etwa 5 Jahren sind wir regelmäßig dort. Unsere Tochter wurde dann die erste Konduktorin in der Familie, bei der so manches anders verlaufen ist. Sie wurde gut auf jede OP vorbereitet und im Anschluss überwacht. Bei größeren medizinischen Eingriffen hat sie zum Beispiel auch Gerinnungsmedikamente bekommen. Heute geht sie außerdem regelmäßig ins Hämophilie-Zentrum und wird dort gut überwacht.
Für hämophile Jungs und Männern hat sich vieles zum Positiven verändert – für Konduktorinnen auch
Für die Jungs kamen irgendwann die ersten Therapien auf, die anfänglich zwar eine sehr geringe Halbwertszeit hatten, aber immerhin etwas gegen Blutungen halfen. Mit der Zeit wurde die gespritzte Menge immer geringer und es kamen neue Präparate mit verschiedenen Vor- und Nachteilen auf den Markt. Die Medikamente wurden auch immer einfacher bei der Handhabung – etwa das Anmischen – sodass die Heimselbstbehandlung eingeführt werden konnte. Heutzutage gibt es Präparate mit verlängerter Halbwertszeit und solche, die unter die Haut gespritzt werden können, was einen echten Unterschied macht. Es ist nicht mehr nötig zu lernen, wie man richtig in die Vene spritzt, was für Menschen mit schlechten Venen ein großer Vorteil ist.
Konduktorinnen werden mittlerweile viel besser betreut
Aber auch bei den Konduktorinnen hat sich im Laufe der Zeit sehr viel verändert. War man anfangs „nur Überträgerin“, wird man mittlerweile ernst genommen – zum Beispiel bei Beschwerden, die von zu wenig Gerinnung kommen können. Und auch auf psychisch Probleme bei Konduktorinnen wird immer mehr eingegangen. So gibt es etwa extra Treffen, nur für Konduktorinnen, wo mal nur auf uns und unsere Probleme eingegangen wird. Denn Konduktorinnen müssen häufig sehr viel einfach so hinnehmen, weil ihre hämophilen Kinder immer im Vordergrund stehen.
Ich kann nur jeder Konduktorin empfehlen, sich mal in einem Hämophilie-Zentrum vorzustellen – und das nicht erst, wenn eine größere OP ansteht. Informiert euch bei den Patientenvertretern!
Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück.