Warum sollte ich überhaupt Sport treiben?
Die positiven Auswirkungen, die Sport auf Körper und Geist hat, sind unumstritten und gerade Menschen mit Hämophilie A sollten regelmäßig Sport treiben, da körperliche Betätigung die Koordination stärkt und so Unfällen vorbeugen kann. Außerdem werden die Muskeln gestärkt, die die Gelenke stützen.
Doch wie viel Sport ist noch gesund? Schadet Leistungssport nicht auf Dauer der Gesundheit? Ist die damit verbundene hohe Intensität nicht für Menschen mit Hämophilie viel zu gefährlich? Das sind alles Fragen, mit denen ich mich in der Vergangenheit mal mehr, mal weniger gern und oft beschäftigt habe. Gerade im vergangenen Jahr musste ich meine Einstellung zum Sport wieder neu justieren, und ich möchte meine ersten beiden Beiträge gerne dafür verwenden, um über meine Erfahrungen mit Hämophilie und Sport, bzw. Leistungssport im Speziellen zu sprechen.
Welche (Leistungs-)Sportarten mache ich gerne?
Sport mache ich seit vielen Jahren sehr gerne. Dabei zählt der lateinamerikanische Turniertanz zu meiner Hauptsportart. Das ist eine Form des Paartanzes, den ich gemeinsam mit meiner Tanzpartnerin ausübe. Wir bilden eine sportliche Einheit auf dem Parkett und führen unsere Choreografien zu den einzelnen lateinamerikanischen Tänzen (Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Paso Doble und Jive) im Wettkampf gegen andere Tanzpaare vor. Wertungsrichterinnen und -richter am Tanzflächenrand bewerten die tänzerische Darbietung so objektiv wie möglich.
Leistungsbezogen mache ich diese Sportart seit 2018 und da ich Jahrgang 2000 bin, habe ich mit dem Leistungssport mit 18 Jahren begonnen. Heute, beim Verfassen dieses Beitrages, bin ich 24 Jahre alt und konnte mich in die zweithöchste Liga des Tanzsportes unter den Amateurinnen und Amateuren hocharbeiten. Meine Tanzpartnerin und ich nehmen regelmäßig an Turnieren in ganz Deutschland teil.
Neben dem Tanzsport habe ich auch vor einigen Jahren meine Leidenschaft zu Ausdauersportarten gefunden. So fahre ich vor allem im Sommer gerne Rennrad, gehe Wandern und ab und zu Laufen. Dieses Jahr habe ich auch angefangen, regelmäßig und strukturiert Krafttraining im Fitnessstudio zu betreiben, und finde zurzeit auch großen Gefallen daran. Ihr seht also, dass sportlich bei mir jede Woche so einiges zu tun ist, und so kommt es gut und gerne vor, dass ich an sechs von sieben Tagen in der Woche Sport mache und manchmal sogar zweimal täglich. Das heißt vormittags ins Fitnessstudio und abends ins Tanztraining.
Ich bin eine sehr ehrgeizige Person und versuche jeden Tag, an meinen sportlichen Zielen zu arbeiten. Dass mir das Sporttreiben aber einmal so viel bedeuten würde und aus meinem Alltag nicht mehr wegzudenken ist, war garantiert nicht immer so in meinem Leben. In meiner Kindheit und vor allem in meiner Jugend habe ich nämlich keinen Sport gemacht. Ich habe sogar gedacht, dass das regelmäßige Treiben von Sport für mich eigentlich nicht infrage kommt.
Meine unsportliche Vergangenheit
Ich habe „nur“ eine mittelschwere Hämophilie A, mit einer noch recht hohen Restaktivität an Faktor VIII von 4 %. „Damit kommt man im Leben gut zurecht“, haben die Ärztinnen und Ärzte immer gesagt. Ein konstanter Faktorspiegel von 4 % war in der Vergangenheit als recht hohes Level angesehen, wenn man bedenkt, dass es in meiner Kindheit noch häufig darum ging, Menschen mit schwerer Hämophilie prophylaktisch so einzustellen, dass sie nicht unter einen Talspiegel von 1 % fallen. Deswegen bekam ich in den ersten zwölf Lebensjahren auch keine Prophylaxe.
Was man damals nicht bedacht hatte, war die Tatsache, dass ein Hämophiler mit der schweren Verlaufsform kurz nach dem Zeitpunkt der Substitution so hohe Faktorlevel im Blut hat, die ihn nur noch zu einem milden Hämophilen oder sogar kurzzeitig Gerinnungsgesund machen. Das ist genau der Zeitraum – und das könnt Ihr Euch merken – in den sportlichen Aktivitäten stattfinden sollten. Im Laufe der Zeit realisierte ich, dass ein Faktorlevel von gerade mal 4 % bei starker sportlicher Aktivität nicht ausreicht, um einen adäquaten Schutz vor Blutungen zu gewährleisten.
So kam es, dass wahrscheinlich schon im Grundschulalter die ersten Blutungen in mein linkes Sprunggelenk stattfanden, die zu allem Übel auch noch nicht als solche erkannt wurden. Denn bis zum zwölften Lebensjahr war ich nicht einmal an ein Hämophilie-Zentrum angebunden und hatte deshalb oft mit Ärztinnen und Ärzten zu tun, die sich nicht sonderlich gut mit der Hämophilie auskannten.
Jede Blutung – vor allem jede unbehandelte Blutung – kann zu großen Schäden im betroffenen Gelenk führen, und so hatte sich bereits in der ersten Hälfte meines Lebens eine hämophile Arthropathie im linken Sprunggelenk gebildet. Mein Gelenk war von diesem Zeitpunkt an in seiner Bewegung eingeschränkt und auch nicht mehr so stark belastbar. So kam das eine zum anderen, und mir wurde tatsächlich eher davon abgeraten, mit diesem Gelenk Sport zu machen. Zumindest wurde ich ab diesem Zeitpunkt – hier war ich 12 Jahre alt – vom Schulsport bis zum Ende der Schulzeit befreit.
Ab dann war ich auch prophylaktisch eingestellt, um für das betroffene Gelenk einen höheren Schutz zu gewährleisten. Das alles hat bei mir jedoch dafür gesorgt, das Thema Sport für mich abzuhaken. Gerade in der Jugend, in der man so viele verschiedene Sportarten ausprobieren kann – und das würde ich auch jedem Hämophilen nur empfehlen –, war diese Chance mir verwehrt geblieben. Ich konnte demnach die Welt des Sports nie für mich entdecken und nie die verschiedenen Sportarten testen. Denn von da an hat man mir immer nahegelegt, das Gelenk zu schonen und es nicht zu stark zu belasten. Klar die Sportarten, die für Hämophile besonders gut geeignet sind, und die wir alle kennen und schon oft gehört haben (z. B. Radfahren, Schwimmen oder Nordic Walking), hätte ich schon betreiben können. Allerdings hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon zu oft von diesen – für mich damals langweiligen Alternativen – gehört, und wollte sie erst recht nicht machen.
Ich hatte mein Päckchen zu tragen
Wie ging es mir zu dieser Zeit? Nun ja, um ehrlich zu sein, habe ich mich damals irgendwie alt gefühlt. Ihr müsst Euch vorstellen, dass ich mit Beginn der Pubertät bereits ein „kaputtes“ Sprunggelenk hatte, was Menschen mit normaler Blutgerinnung vielleicht einmal mit 60 oder 70 Jahren bekommen. Mein Alltag sah damals so aus, dass ich ca. eine Stunde durch die Stadt gehen konnte, bevor mir mein Gelenk wehtat, und ich eigentlich nicht mehr weiterlaufen wollte.
Ich kann mich noch gut erinnern, als ich mit meinen Eltern 2016 einen Städtetrip nach Berlin gemacht habe. Die Stadt hat mir sehr gut gefallen, jedoch konnte ich nach einem intensiven Vormittag mit viel Sightseeing vor Schmerzen nicht mehr wirklich gut laufen. Sollte Euch das mal passieren, dass ein Gelenk über mehrere Stunden stärker schmerzt, dann haltet bitte immer Rücksprache mit dem Hämophilie-Zentrum. Liegt nämlich eine Gelenkblutung vor, sollte man so schnell wie möglich Gegenmaßnahmen ergreifen. Doch ich wollte in diesem Urlaub meine Zähne zusammenbeißen und so tun, als wäre alles in Ordnung.
Die Lebensqualität war, wie ich finde, zu diesem Zeitpunkt schon eingeschränkt. Dazu kam dann aber auch noch der Ausschluss aus dem Schulsport. Für die Klassengemeinschaft ist der Schulsport eine sehr wichtige Komponente und hier immer außen vor zu sein, anders zu sein, fiel mir auch nicht immer leicht.
Wie sich dann alles geändert hat und wie ich zum Sport kam, erfahrt Ihr im nächsten Beitrag.
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