Prophylaxe bei Kleinkindern

Bedeutung der Prophylaxe bei Hämophilie A

Die Diagnose „Hämophilie A“ kann überfordern – egal, ob Du schon während der Schwangerschaft davon erfahren hast oder ob sie erst nach der Geburt gestellt wird. Hier möchten wir Dich mit dem Thema „frühzeitige Prophylaxe bei Hämophilie A“ vertraut machen und erklären, warum Du Dich an der Therapieentscheidung beteiligen solltest.

Diagnose „Hämophilie A“ – und jetzt?

So eine (überraschende) Diagnose kann belastend sein. Vermutlich schwirren Dir jetzt viele Fragen im Kopf herum und Du musst Dich mit vielen Themen auseinandersetzen und Entscheidungen treffen. Das klingt und ist auch viel. Aber in manchen Situationen gilt es, möglichst wenig Zeit zu verlieren.

Wie z. B. bei der Therapieentscheidung bei bisher unbehandelten Patienten (PUPs = previously untreated patients). Obwohl es heutzutage mehrere Optionen gibt, die Hämophilie zu behandeln, gibt es immer noch Entscheidungsschwierigkeiten.1 Einerseits ist dies nachvollziehbar, da es sich um die Gesundheit des eigenen Kindes handelt und keine übereilten Entscheidungen bezüglich der medikamentösen Therapie getroffen werden wollen. Andererseits kann eine geeignete und rechtzeitige prophylaktische Behandlung lebensbedrohliche Blutungen, Gelenk- oder Gewebeblutungen verhindern und so die Lebensqualität Deines Kindes verbessern. Deswegen ist die Empfehlung der World Federation of Hemophilia (WFH) auch, möglichst früh mit einer Prophylaxe zu beginnen – am besten direkt nach Geburt.2

Info

Prophylaxe ist der Goldstandard bei der Hämophilie-Therapie und sollte möglichst frühzeitig begonnen werden.1,2

Warum ist eine ganz frühe Prophylaxe wichtig? 

Eine Geburt ist auch für das Kind anstrengend und mit Risiken verbunden. Blutungen bei Neugeborenen können als Folge eines Traumas während der Wehen und der Entbindung auftreten. Beispielsweise treten bei ca. zwei Prozent der Geburten von hämophilen Kindern intrakranielle (= innerhalb des Schädels)  Blutungen auf.3 Diese Blutungen haben bei Hämophilie eine Sterblichkeitsrate von etwa 20 Prozent,4 während es bei mindestens einem Drittel der überlebenden Neugeborenen zu schweren Folgeerkrankungen kommt.5 Blutungen in Gelenken und Muskeln treten bei Neugeborenen dagegen seltener auf, können aber beispielsweise durch ärztliche Eingriffe wie die Blutentnahme für das Neugeborenen-Screening verursacht werden.5,6 

Da Schädelblutungen auch spontan, d. h. ohne einen Auslöser, auftreten können (bei 6,4 Blutungen auf 1.000 hämophile Geburten) und ihre Symptome oft unspezifisch sind, werden sie nicht immer sofort erkannt.7 Ebenso kann es zu Spontanblutungen in Muskeln und Gelenken kommen. Um all diesen Ereignissen bei PUPs vorzubeugen und somit Folgeschäden zu verhindern, ist ein möglichst früher Start der prophylaktischen Behandlung wichtig. 

Warum solltest Du Dich an der Entscheidung für eine Prophylaxe beteiligen?

Treffen Du und das Behandlungsteam gemeinsam eine Therapieentscheidung für Dein Kind, nennt man das Shared Decision Making – kurz SDM. Dabei besprecht Ihr gemeinsam die verschiedenen Möglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen und legt zusammen fest, welche die am besten geeignete Therapie ist.

Das klingt jetzt erstmal nach Aufwand, aber es lohnt sich. Zum einen hast Du dadurch weniger ein Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber der Erkrankung. Zum anderen ist es bewiesen, dass Menschen, die sich an einer Therapieentscheidung beteiligt haben, auch mehr hinter dieser Entscheidung stehen und somit die Therapie konsequenter anwenden.8 Und eine konsequente und regelmäßige Anwendung ist bei einer prophylaktischen Therapie das A & O.

Mehr über die Vorteile von SDM und seinen Einsatz im Praxisalltag bei Hämophilie erfährst Du auch in diesem Interview mit Prof. Lange.

Was sind die prophylaktischen Therapieoptionen? 

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Prophylaxe bei Hämophilie A. Mehr dazu erfährst Du hier. Welche davon für Dein Kind infrage kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So unterscheiden sich die Hämophilie-Therapien beispielsweise im Zulassungsstatus (z. B. Schweregrad der Hämophilie oder die Anwesenheit von Hemmkörpern) und in ihrer Verabreichungsart und -häufigkeit oder dem Alter, ab dem sie eingesetzt werden können. 

Medikamente mit einer längeren Halbwertszeit (die Zeit, in der das Medikament zur Hälfte vom Körper abgebaut wurde) ermöglichen längere Therapieintervalle und müssen somit seltener gespritzt werden. Auch sind manche Verabreichungsarten verträglicher und weniger invasiv als andere. Dadurch sind sie schmerzärmer und können früher vom Kind selbst erlernt werden, sodass es schneller in seine eigene Therapie miteinbezogen werden kann. 

Hier findest Du eine Übersicht der verschiedenen Verabreichungsformen bei einer Hämophilie-Prophylaxe: 

Behandlungsmöglichkeiten für Kleinkinder mit Hämophilie A

Was sind die Vorteile einer Prophylaxe? 

Das Wichtigste zuerst: Der Nutzen einer Prophylaxe überwiegt klar die Belastungen, die eine Therapie auch mit sich bringen kann. Die prophylaktische Behandlung reduziert die Krankheitslast spürbar und wird deshalb von Expertinnen und Experten gegenüber einer Bedarfsbehandlung empfohlen. Mit der passenden Prophylaxe sinkt die Therapielast und unangemessen niedrige Schutzlevel werden vermieden. Also: Keine Angst vor der Prophylaxe! 

Eine Prophylaxe reduziert das Risiko für Blutungen – sowohl für Spontanblutungen als auch für Blutungen durch Verletzungen oder Stöße. Dadurch wird auch das Risiko für Gelenkschäden und spätere Folgeeinschränkungen verringert.  

Hast Du Dich einmal für eine Prophylaxe für Dein Kind entschieden, bedeutet das nicht, dass dieses Medikament für immer angewendet werden muss. Um herauszufinden, welche Therapie am besten zu den Lebensumständen Deines Kindes passt, können verschiedene Prophylaxen ausprobiert werden. Eine Therapie kann auch wieder gewechselt werden, wenn sich die Umstände verändert haben.1 Es ist also keine Entscheidung für die Ewigkeit – vielleicht macht es das für Dich ein wenig leichter. 

Möchtest Du wissen, wie andere Betroffene mit so einer Entscheidung umgegangen sind? In Simones Blog-Beitrag kannst Du nachlesen, welche Erfahrungen sie mit ihrem Sohn Elian gemacht hat. 

Kurz und knapp zusammengefasst

Insgesamt lässt sich sagen: Es ist wichtig, frühzeitig eine geeignete Therapie zu finden, die sowohl für Dein Kind als auch für den Rest der Familie gut passt. Ist die Hämophilie schon in der Familie bekannt, ist es sinnvoll, dass Du Dir schon vor der Geburt Gedanken über eine mögliche Therapie machst und Dich über die Optionen informierst. Denn je früher die Hämophilie akzeptiert und ihre Therapie gut in den Alltag integriert wird, desto leichter fällt der Umgang mit beiden. Das ist für Dein Kind und die ganze Familie ein wichtiger Schritt in Richtung „Haemophilia free mind“ und ermöglicht einen freien Kopf – ohne ständige Gedanken an die Hämophilie – und Ihr könnt Euch ganz den schönen Dingen im Leben widmen. 

Sobald Dein Kind alt genug ist, kannst bzw. solltest Du es an der Therapieentscheidung beteiligen. Denn das erhöht die Adhärenz Deines Kindes und somit den Therapieerfolg und die Patientenzufriedenheit

Um zu überprüfen, ob die Therapie noch die richtige für Dein Kind ist, könnt Ihr in regelmäßigen Abständen unseren Therapiecheck durchführen. Er zeigt Euch, zu welchen Bereichen im Leben die Therapie noch passt und wo es Verbesserungspotenzial gibt. Die Ergebnisse könnt Ihr auch als Grundlage für das nächste Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt verwenden. 

Hast Du Fragen, Anregungen oder Kritik? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail über das Kontaktformular. Wir melden uns schnellstmöglich zurück. 

Quellen: 

  1. Astermark J et al. Considerations for shared decision management in previously untreated patients with hemophilia A or B. Ther Adv Hematol. 2023; 14:1–21 
  1. Srivastava A et al. WFH guidelines for the management of hemophilia, 3rd edition. Haemophilia. 2020; 26(suppl 6):1–158 
  1. Zwagemaker AF et al. Incidence and mortality rates of intracranial hemorrhage in hemophilia: a systematic review and meta-analysis. Blood. 2021; 138:2853–2873 
  1. Zanon E, Pasca S. Intracranial haemorrhage in children and adults with haemophilia A and B: a literature review of the last 20 years. Blood Transfus. 2019; 17:378–384 
  1. Streif W, Knöfler R. Perinatal management of haemophilia. Hamostaseologie. 2020; 40:226–232 
  1. Moorehead PC et al. A practical guide to the management of the fetus and newborn with hemophilia. Clin Appl Thromb Hemost. 2018; 24(Suppl.):29S–41S 
  1. Chalmers EA et al. Intracranial haemorrhage in children with inherited bleeding disorders in the UK 2003–2015: a national cohort study. Haemophilia. 2018; 24:641–647 
  1. Zolnierek KB, DiMatteo MR. Physician communication and patient adherence to treatment: a meta-analysis. Med Care. 2009; 47(8):826-34 
  1. https://sdm.wfh.org/de/welcome-de/ 

M-DE-00024354