Prophylaxe – ja oder nein?

Prophylaxe – ja oder nein?

Ich bin Sven. Wer bereits auf mein Profil geschaut hat, der weiß, dass ich mittelschwere Hämophilie A habe. In diesem Beitrag erzähle ich Euch von meiner Entscheidung für oder gegen eine prophylaktische Therapie.

Mittelschwere Hämophilie: Das bedeutet, dass bei mir eine Restaktivität des Faktor VIII von 1–5 Prozent vorliegt. Die Werte schwanken bei mir immer etwas, sind aber meist bei ca. 2 Prozent. Noch stärker betroffen sind i. d. R. die Hämophilen, die eine schwere Hämophilie mit einer Restaktivität von unter 1 Prozent haben.

Was ist Prophylaxe überhaupt?

In der Regel spritzen sich die Patienten mit einer schweren Hämophilie die Therapie als sogenannte Prophylaxe. Prophylaxe? Wieder eins dieser Fremdwörter, die man vielleicht nicht so kennt oder nur, weil man den Begriff im Rahmen einer Zahnreinigung beim Zahnarzt schon mal gehört hat.

Wenn man aber mal etwas recherchiert, bekommt man eine viel bessere Definition des Begriffes. So heißt es dann in etwa „Unter Prophylaxe versteht man Maßnahmen, die Krankheiten verhindern“. Zwar wird bei der Hämophilie nicht die Erkrankung selbst verhindert, sondern nur die Auswirkungen, aber auch dann kann man von einer Prophylaxe sprechen.

Das heißt bei Hämophilie ist die Maßnahme, das Medikament so zu spritzen, dass es gar nicht erst zu einer Blutung kommt. Deshalb sind Patienten mit einer schweren Hämophilie A, die prophylaktisch spritzen, häufig dementsprechend gut vor Blutungen geschützt. Schließlich erhöhen sie durch die regelmäßige Verabreichung des Medikaments die Gerinnungsfähigkeit des Blutes.

Wie verhalten sich Patienten mit mittelschwerer Hämophilie A?

Sehr viele Hämophile mit mittelschwerer Hämophilie hingegen spritzen meistens nur, wenn bereits ein Unfall, etc., passiert und damit auch eine Blutung aufgetreten ist. Das bedeutet natürlich auch, dass es dann manchmal Wochen dauert, bis man die Blutung hinter sich hat. Das war für mich, wie für viele andere Betroffene auch, ganz normal.

Ich kann mich beispielweise als Kind daran erinnern, dass ich häufig 1–2 Wochen nicht zur Schule gehen konnte, weil ich eine Blutung in Gelenken wie dem Knie, Fuß oder Hüfte hatte und es seine Zeit brauchte, bis diese wieder verschwunden war. Das setzte sich dann natürlich auch in der Ausbildung fort oder ich habe mich mit Schmerzen zur Arbeit geschleppt.

Gründe für den Umstieg auf Prophylaxe

In den letzten Jahren habe ich aber immer öfter von Hämophilen gehört, die mittelschwere Hämophile A haben, und die eine prophylaktische Therapie anwenden. So kam dann der Gedanke bei mir auf, eventuell doch mal auf eine Prophylaxe umzusteigen.

Dennoch kam immer mal wieder etwas dazwischen und, ich war mir auch oft einfach nicht sicher, ob eine Prophylaxe das Richtige für mich ist. Schließlich muss man dann regelmäßige Spritzpläne einhalten, und ich habe immer schon nur bei Bedarf gespritzt. „Never change a running system“ war dann oft der Gedanke. Da ich aber mittlerweile verheiratet und Vater von zwei Kindern bin, möchte ich möglichst wenig ausfallen. Auch habe ich mir viele Gedanken gemacht, was wäre, wenn es mal zu einem größeren Unfall kommt?

Gespräch mit dem Arzt

Also sprach ich das Thema bei meinem letzten Besuch im Hämophilie-Zentrum an. Meine Fragen, welche Möglichkeiten bzw. welche Medikamente es aktuell auf dem Markt gibt und was die individuellen Vor- aber auch Nachteile sind, wurden besprochen. Ich habe hier absichtlich „individuell“ geschrieben, weil ich denke, dass jedes Medikament von dem jeweiligen Benutzer unterschiedlich bewertet wird, insbesondere im Hinblick auf Vor- und Nachteile.

Letztendlich muss ich aber sagen, dass mich die Vorteile einer Prophylaxe eindeutig überzeugt haben und ich mir dann das – in meinen Augen – für mich beste Medikament ausgesucht habe.

Nicht vergessen!

Seit 3 Monaten spritze ich nun prophylaktisch. Das Thema „Spritzen bloß nicht vergessen“ habe ich so gelöst, indem ich mir digitale Erinnerungen eingerichtet habe. Das heißt, ich habe einen Wecker gestellt, der mich dran erinnert. Bisher ist es zum Glück noch nicht passiert, dass ich einen Spritzentermin vergessen habe.

Sicherlich denkt Ihr jetzt: „Wie kann man so etwas vergessen?“ Aber es ist wirklich so, wenn man immer nur bei Verletzungen gespritzt hat und es über Jahrzehnte so gewohnt war, ist es ungewohnt und komisch sich zu spritzen, wenn einem nichts weh tut.

Wie geht es mir damit?

Sicherlich seid Ihr gespannt, welche Erfahrungen ich nun gemacht habe. Der erste positive Eindruck fing bei mir im Prinzip schon morgens an. Ich rasiere mich nass und eigentlich ist das auch nicht die beste Idee als Hämophiler. Regelmäßig schneidet man sich dabei leicht, und das war bei mir oft schon mal so, dass es den ganzen Tag immer mal wieder angefangen hat zu bluten und das ist doch sehr nervig. Seit der Prophylaxe schneide ich mich natürlich immer noch, aber es hört schnell auf. Meine Blutgerinnung ist einfach deutlich besser als vorher.

Verletzungen mit Prophylaxe

Des Weiteren habe ich mich seitdem auch mehrmals etwas verletzt. So habe ich mir einen Finger und einen Daumen geklemmt, das Knie gestoßen und gerade erst gestern bin ich im Schwimmbad mit der Hacke blöd an den Beckenrand angeschlagen. Alles Sachen, bei denen ich früher sicher ein paar Tage hätte spritzen müssen.

Aber Dank der Prophylaxe kam es anders. Klar, ich hatte in dem jeweiligen Moment Schmerzen und es kam auch zu Schwellungen. Was aber nicht passiert ist, ist dass ich starke Einblutungen hatte. Das heißt, ich hatte innerhalb kurzer Zeit keine Schmerzen mehr und die Schwellungen gingen zurück. Für mich ein neues und immer noch ein wenig komisches Gefühl – ich konnte es teilweise kaum glauben.

Fazit

Mein Fazit nach 3 Monaten Prophylaxe: Ich ärgere mich schon fast, das nicht früher gemacht zu haben und bin nun wirklich von diesem Konzept überzeugt. Es sind dann auch nicht nur die großen Blutungen, sondern auch die ganz kleinen Einblutungen, die man vielleicht gar nicht immer merkt.

Ich bin mir sicher, dass auch die Spätfolgen der Hämophilie A durch eine Prophylaxe abgemildert werden können. Dieses führt dazu, dass ich auch positiver in die Zukunft schaue und glaube, länger fit bleiben zu können. Ich kann nur jedem empfehlen, darüber nachzudenken und sich vor allem auch bei seinen Ärztinnen und Ärzten zu erkundigen, was es heutzutage für Behandlungsmöglichkeiten gibt. Vielleicht seid Ihr dann auch so mutig wie ich und probiert es aus.

Euer Sven

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