Jugendliche auf einem Wanderausflug im Wald

Prophylaxe bei mittelschwerer Hämophilie A

Ich bin Jonah und in diesem Beitrag erzähle ich Euch von meinen Erfahrungen mit meiner Prophylaxe bei mittelschwerer Hämophilie A.

Liebe Active A Community,
Die meisten von uns verbindet die Hämophilie, egal ob selbst betroffen oder durch einen Angehörigen. Der zentrale Aspekt für mich persönlich war immer, welche Medikation ich wie anwenden kann, um mich im Alltag möglichst wenig mit meiner Erkrankung beschäftigen zu müssen.

Der Beginn meiner Prophylaxe bei mittelschwerer Hämophilie A

Meine Hämophilie ist mit einem Prozent Faktor-VIII-Restaktivität zwar gerade eben noch mittelschwer, allerdings hatte ich schon im Kindesalter viel mit Gelenkblutungen – vorrangig in Knien und Sprunggelenken – zu kämpfen, weshalb ich, solange ich denken kann, prophylaktisch eingestellt bin. Über die letzten 20 Jahre hat sich in der Therapie für Hämophilie einiges getan, was sich für mich im Alltag sehr positiv bemerkbar macht.

Im Kindergarten und in der Grundschule haben ich und alle meine Bekannten, die ebenfalls eine Hämophilie-Diagnose haben, intravenös Faktor-VIII-Präparate bekommen, die alle zwei Tage in vom Schweregrad abhängigen Dosen verabreicht werden mussten. In meinem Fall waren es zwei Spritzen mit jeweils 1.000 Einheiten als Prophylaxe täglich und im Blutungsfall bis zu 8.000 Einheiten. Durch die medikamentöse Einstellung konnte ich größtenteils normal am Schulsport teilnehmen und mich auch außerhalb der Schule relativ sorgenfrei sportlich ausleben – abgesehen von den klassischen Ausnahmen wie Fußballverein etc.

Der Schutz, den das Medikament gewährt hat, war allerdings immer nur von begrenzter Dauer und nahm am Tag zwischen den Gaben schon deutlich ab, weshalb man anstrengende Tätigkeiten im besten Fall so legte, dass sie auf Tage fielen, an denen das Medikament gespritzt wurde.

Zeit, das Spritzen selbst zu lernen

Soweit zu den großartigen Dingen, die mir die Therapie ermöglicht hat. Leider gab es auch einige Dinge, die die Euphorie ein wenig gedämpft haben. Der größte Punkt ist zweifellos die Applikationsform, da Faktor-VIII-Präparate zu dieser Zeit ausschließlich intravenös verabreicht werden konnten. Das bedeutete für uns als Familie, dass zu der Zeit, als ich noch nicht selbst spritzen konnte, immer ein Elternteil dabei sein musste – wo auch immer es hinging.

Doch an dieser Front war ich sehr gesegnet, da meinen Eltern keine Hürde zu hoch war, um mir Dinge wie Klassenfahrten zu ermöglichen. Trotzdem wurde es unabdingbar, das Spritzen eigenständig bewerkstelligen zu können, um einen ersten Schritt in Richtung Unabhängigkeit von den Eltern machen zu können. Denn auch wenn ich meinen Eltern natürlich sehr dankbar bin für ihren Willen, mir das alles zu ermöglichen: Mit dem Eintritt in die Pubertät wird es schnell uncool, wenn man was mit seinen Freunden unternehmen will und immer ein Elternteil im Schlepptau haben muss.

Selbst spritzen zu lernen ist aber gar nicht so einfach, wenn man schlechte Venen hat, die sich beim Anblick einer Spritze sofort ins Innere des Körpers verziehen. Daher war das ganze bei mir leider eine Angelegenheit von mehreren Jahren, in denen ich zum Glück im Rahmen von Ferienlagern auf die Unterstützung von medizinischem Personal zählen konnte, die auch beim vierten und fünften missglückten Versuch nicht die Geduld verloren haben und mich wieder aufgebaut haben. So richtig sicher habe ich mich beim Spritzen erst gefühlt, als ich im Alter von 13 Jahren mit Kraftsport angefangen habe, wodurch meine Venen deutlich besser sichtbar wurden und dementsprechend auch leichter zu treffen waren. Das Spritzen war mir also endlich selbst möglich und ich konnte Ausflüge, Klassenfahrten und andere Unternehmungen endlich auf eigene Faust erleben. Das hat mich – aber zweifelsohne auch meine Eltern – sehr entlastet.

Nachlässigkeit bei der Prophylaxe – keine gute Idee

Da ich aber – bis ich mit 21 Jahren zum Studieren ausgezogen bin – noch bei meinen Eltern gewohnt habe, hatte vor allem meine Mutter trotzdem immer noch ein Auge darauf, dass ich meine Prophylaxe auch wirklich einhalte. Ich persönlich habe immer das Problem, dass ich – wenn etwas nicht akut wehtut oder anderweitig stört – es aus den Augen verliere, so auch die Medikamentengabe.

Ab etwa meinem 12. Lebensjahr hatte ich meine eigenen Grenzen bezüglich der Hämophilie ganz gut ausgelotet und wusste in etwa, wie weit ich gehen konnte: Sei es, wie lange meine Hüftgelenke einen Aufenthalt auf dem Trampolin unbeschadet mitmachen würden oder ab wann ich mich auf dem Fußballplatz mit Freunden besser rausnehmen sollte.

Eine Überlastung äußerte sich bei mir meistens durch ein drückendes Wärmegefühl, das mir signalisierte, jetzt am besten eine Pause zu machen. Durch die bessere Selbsteinschätzung blieben mir viele Blutungen und Unannehmlichkeiten erspart, wodurch ich ohne die Erinnerung meiner Eltern vermutlich schon in dieser Zeit nachlässig mit meiner Prophylaxe geworden wäre. Als ich 18 Jahre alt geworden bin, hat meine Mutter gesagt, dass es endlich an der Zeit wäre, mich eigenverantwortlich um meine Gesundheit zu kümmern. Womit sie natürlich vollkommen recht hat, doch wie gesagt, so wirklich lerne ich nur, wenn es wehtut. Im darauffolgenden Jahr bin ich dann etwas nachlässig mit der Medikamentengabe geworden und die Abstände zwischen den Spritzentagen betrugen oft eher drei bis vier Tage anstatt der vom Arzt angesetzten zwei Tage. Das führte dann dazu, dass ich bei gewohnter Belastung öfter Probleme in den Knien hatte, aber leider nicht genug, um mich zum regelmäßigen Spritzen zu bewegen.

Meine Studienteilnahme

Irgendwann hatte ich dann das Glück, an einer Studie teilnehmen zu dürfen, die ein Medikament testete, welches eine längere Halbwertszeit hat. Das bedeutete, dass es möglich war, nur einmal pro Woche oder sogar nur einmal im Monat zu spritzen anstatt alle zwei Tage. Außerdem wird das Medikament subkutan anstatt intravenös verabreicht, was die nervigen Variablen wie niedrige Temperatur (wodurch die Venen schlechter sichtbar sind) oder die Menge an aufgenommener Flüssigkeit wegfallen lässt. Eine kleine Menge subkutanes Fett findet man überall am Körper, also fiel auch die Problematik weg, dass man im Ernstfall durch den mehrmaligen Versuch, eine Vene zu treffen, in zusätzlichen Stress gerät. Einfach aufziehen, in den Bauch stechen und spritzen – und das Ganze auch nur noch einmal die Woche.

Das hat soweit auch gut funktioniert und da es sich um eine Langzeitstudie handelte, bei der die Ergebnisse nicht nur für mich, sondern auch für die nach mir kommenden Patienten relevant sind, pendelte sich auch die Regelmäßigkeit der Medikamentengabe bei mir wieder ein.

Während der gesamten Studienzeit hatte ich – bis auf eine akute Situation – keine Beschwerden im Alltag, was dazu führte, dass ich nach dem regulären Ende der Studie leider wieder ein bisschen nachlässig geworden bin. Man könnte jetzt natürlich sagen, dass das ein unverbesserliches Verhalten von mir ist, wenn ich schon eine so viel angenehmere Variante der medizinischen Versorgung quasi vor die Füße gelegt bekomme. Und das wäre für diesen Moment nicht ganz falsch …

Der Weckruf

Im September des darauffolgenden Jahres habe ich auf einem Hämophilie-Wochenende der IGH einen gleichaltrigen guten Bekannten wiedergetroffen, der mir erzählte, dass er seine Prophylaxe in der Vergangenheit ähnlich gehandhabt hat wie ich, und dann eine innere Spontanblutung im Bauch erlitt, aufgrund der er dem Tod nur ganz knapp von der Schippe gesprungen ist.

Das hat mir als Motivation gereicht, mich wieder auf den richtigen Kurs zu bekommen und mich wieder zusammenzureißen. Man muss dazu sagen, dass er eine schwere Hämophilie A hat und meine „nur“ mittelschwer ist, aber de facto trennen uns nicht mal mehr ein Prozent bei der Faktor-VIII-Restaktivität, weshalb ich mich dafür entschieden habe, die Chance, die mir mit so einer innovativen Therapie angeboten wird, auch zu nutzen.

Mein Fazit

Wenn ich ein Zwischenfazit für meine Behandlung bis zu diesem Zeitpunkt ziehen müsste, würde dieses im Großen und Ganzen sehr positiv ausfallen – auch wenn ich mich natürlich oft morgens vor der Schule geärgert habe, noch früher aufstehen zu müssen, um zu spritzen. Aber wenn ich es dann mal schleifengelassen habe, hat es mir kurz- oder mittelfristig doch immer vor Augen geführt, warum sich die wenigen Minuten für mich persönlich sehr gelohnt haben, da ich immer deutlich mehr Probleme ohne Prophylaxe hatte als mit.

Aktuell spritze ich einmal im Monat subkutan und nur im Notfall ein weiteres Faktor-VIII-Präparat intravenös und ich komme damit sehr gut zurecht.

Habt Ihr eigene Erfahrungen mit Prophylaxe gemacht und wenn ja, wie seid Ihr damit
zurechtgekommen?

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