Was es heißt, Konduktorin zu sein

Was es heißt, Konduktorin zu sein

Die Forschung rund um die Hämophilie nimmt zunehmend an Fahrt auf. Heute erhalten auch die Konduktorinnen mit ihren spezifischen Bedürfnissen mehr und mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Denn auch Konduktorinnen haben häufig verminderte und erheblich schwankende Faktorwerte, die zu relativ starken Blutungsneigungen führen können. Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit meiner Frau, die selbst Konduktorin ist.

Frauen, die die Hämophilie an einen Sohn weitergeben können, werden in der Welt der Hämophilie „Konduktorinnen“ genannt. Unter den Menschen mit Gerinnungsproblemen wurden sie allerdings lange vernachlässigt. Denn obwohl die Hämophilie A hauptsächlich Männer betrifft, können auch Überträgerinnen (oder eben Konduktorinnen) niedrige Faktorspiegel und eine verstärkte Blutungsneigung aufweisen. Studien haben gezeigt, dass sogar Frauen mit einem Faktorspiegel von noch 60 Prozent[1] schon zu starken Blutungen neigen können.

Meine Frau ist derzeit 35 Jahre alt und war bis vor der Geburt unseres Sohnes vor 3 Jahren ziemlich ahnungslos – genau wie ich – und wusste nicht, was es heißt, Konduktorin zu sein. Ich meine, allein schon das Wort „Konduktorin“ – noch nie was davon gehört. Klingt etwas wie Konditor.

Grundloses heftiges Nasenbluten mitten in der Nacht

2019 kam unser Sohn zur Welt – ab da waren wir endlich schlau. Aber fangen wir mal viel weiter vorne an und gehen zurück in die Jahre 2006 bis 2018. Meine Frau bekam des Öfteren heftiges Nasenbluten – einfach so von einem Moment auf den anderen. Vor einigen Jahren – das vergesse ich niemals – fing ihr mitten in der Nacht im Bett die Nase an zu bluten. Unser Schlafzimmer glich innerhalb kürzester Zeit einem Tatort!

Von da an hatte ich so ein Gefühl wie „das ist nicht normal“! Ich wurde immer ganz nervös, wenn ihr das Blut einfach aus der Nase lief und es nicht aufhörte. Schließlich musste ich doch meiner steinzeitlich festgelegten Rolle als Beschützer der Nesthüterin nachkommen. Aber während meine Frau ganz lässig am Waschbecken anlehnte und sich entspannt ausbluten ließ, holte sie mich an der Stelle mit dem Satz „Schatz, behalt mal die Nerven“ wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Der HNO-Arzt kam nach einigen nasalen Untersuchungen und Veröden dann auch zum Standardergebnis: Eigentlich alles gut.

Erst als wir ein Kind erwarteten, wurde uns einiges klarer

Wir wussten zwar, dass meine Frau Konduktorin ist, uns war zu dem Zeitpunkt aber überhaupt nicht klar, was das eigentlich bedeutet. Die Erkenntnisse kamen erst, als wir im April 2019 erfuhren, dass wir ein Kind bekommen werden – ungeplant. Wir lernten, dass meine Frau ihren Gendefekt weitervererben kann und die Chance groß ist, ein Kind mit schwerer Hämophilie zu bekommen.

Wir vereinbarten Termine mit der Humangenetik unseres Krankenhauses und ließen uns aufklären, was genau der Gendefekt bedeutet und wie hoch die Chancen sind, dass unser Kind die Erkrankung nicht geerbt hat. Nach vielen Untersuchungen und Gesprächen mit Hämophilie-Spezialisten war klar – unser Sohn wird schwere Hämophilie haben.

Dank stetig verbesserter Therapien führen wir ein relativ sorgenfreies Leben

An dieser Stelle ist es sehr wichtig zu erwähnen, dass unser Sohn das größte Geschenk ist 😊 und wir akzeptiert haben, dass seine Erkrankung ein fester Bestandteil von ihm und somit auch von uns ist. Durch die stetig fortschreitenden Forschungsergebnisse bei den diversen Therapien rund um die Hämophilie, führen wir derzeit ein relativ sorgenfreies Leben mit nur wenigen bis keinen Einschränkungen.

Mittlerweile haben wir unsere Erfahrungen gesammelt, und es ergibt sich für uns ein entspannterer Blick auf die Hämophilie. Aber die Zeit davor war nicht einfach. Wir hatten nach der Diagnose irgendwie auch Gewissensbisse: Wie konnte das passieren, wo wir doch im Vorfeld wussten, dass die Gefahr einer Weitergabe der Hämophilie besteht? Ich glaube gerade für Konduktorinnen (in dem Fall für die Mütter) ist dies ein sehr sensibler Punkt.

Viele Konduktorinnen leiden unter häufigem Nasenbluten oder starken blauen Flecken

Nach der Geburt unseres Sohnes waren wir stetig in Kontakt mit Spezialisten und anderen Betroffenen – und dabei kam öfter die Frage an meine Frau, ob sie keine Probleme mit Blutungserscheinungen hätte. Der Austausch mit anderen Konduktorinnen ließ sie hellhörig werden und sie erkannte Parallelen zu ihren starken Blutungsneigungen (in ihrem Fall häufiges starkes Nasenbluten). Ebenfalls bekommt meine Frau schnell Hämatome, die relativ lange brauchen, bis sie wieder verheilt sind. Sie hatte das nie auf den Gendefekt zurückgeführt. Ich schrieb ja bereits, durch unseren Sohn sind und werden wir schlauer im Leben.

Der Austausch mit anderen Betroffenen war sehr hilfreich

Bei uns steht demnächst die Untersuchung bezüglich der Faktorwerte meiner Frau an. Wir können jeder Konduktorin nur empfehlen, sich untersuchen zu lassen. Manchmal ergibt – wie in unserem Fall – die starke Blutungsneigung einen Sinn. Bei anderen Konduktorinnen zeigt sie sich übrigens im gynäkologischen Bereich. Der Austausch mit Betroffenen zeigte uns, dass man hier mit der Faktorbestimmung Klarheit schaffen und die Blutungsprobleme schließlich in den Griff bekommen kann.

Ich hoffe, wir konnten Euch einen Einblick in das Thema geben. Ich freue mich auf die Erfahrung und Sichtweisen von anderen Konduktorinnen und hoffe, auch hier noch andere Berichte zu dem Thema lesen zu können.

Quelle:
https://www.dhg.de/leben-mit-blutungserkrankungen/infos-fuer-konduktorinnen.html

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