Die Geburt von Elian
Vor Elians Diagnose wusste ich nicht, dass ich Konduktorin für schwere Hämophilie A bin. Die Schwangerschaft verlief ganz normal und auch die Geburt war am Anfang nicht auffällig. Im Laufe der Geburt kam es allerdings zu Schwierigkeiten, wodurch Elian schlussendlich mit Hilfe einer Saugglocke geholt wurde. Dadurch entwickelte sich seine erste Blutung und er wurde am nächsten Tag in ein anderes Krankenhaus verlegt. Für mich war diese Situation sehr schwer. Ich machte mir Vorwürfe, fragte mich, ob ich bei der Geburt etwas falsch gemacht hatte oder doch den angebotenen Kaiserschnitt hätte annehmen sollen. Dazu kam, dass ich aufgrund meiner Geburtsverletzungen nicht in der Lage war, für mein Baby da zu sein. Ich blieb im Krankenhaus, in dem Elian geboren wurde und Elian war in einer anderen Klinik, da nur dort die erforderlichen Untersuchungen gemacht werden konnten. Mein Mann pendelte zwischen uns beiden hin und her und schickte mir regelmäßig Bilder. Ich war viel allein in meinem Zimmer, hörte die anderen Babys schreien, während in meinem Zimmer nichts an die Geburt meines Kindes erinnerte. Die Wickelstation, das Babybett und alles, was sonst so gebraucht wird, waren bereits abgebaut. Nur die Milchpumpe leistete mir Gesellschaft. Zum Glück durfte meine Mutter mich trotz der Corona-Vorschriften besuchen.
Start ins Familienleben
Als wir nach sechs Tagen endlich mit Elian im gleichen Zimmer schlafen durften, waren wir total verunsichert. Ich hatte mein Baby lange nicht gesehen und nie wirklich bei mir gehabt. Bei jedem Wickeln mussten wir nach der Schwester klingeln, da Elian noch an diverse Messgeräte angeschlossen war. Einmal war ich mir sicher, dass Elian eine frische Windel brauchte, aber die Schwester meinte, das kann nicht sein und verließ das Zimmer wieder. Da zweifelt man dann doch an sich selbst, ob man den „Mutterinstinkt“ überhaupt hat. (Elian hat tatsächlich eine frische Windel gebraucht, mein Instinkt war also doch richtig.) Nach sieben Tagen durften wir endlich nach Hause und konnten so langsam damit beginnen, alles zu verarbeiten. Da wir noch regelmäßig in die kinder- und augenärztliche Praxis (Elian hatte eine kleine Einblutung im Auge) sowie zum SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) mussten, viel es mir allerdings schwer, alles zu verarbeiten, da ich immer wieder damit konfrontiert wurde. Dass Elian optisch aussah, als hätte er sich gerade einen Boxkampf geliefert, machte es nicht leichter. Überall wurde ich angesprochen, was denn passiert sei. Allerdings merkte ich so, dass mir reden tatsächlich half.
Du betreust eine Person mit Hämophilie A? Hier findest Du wichtige Informationen.Diagnose Hämophilie A
Mit 3 Monaten wurde unsere Welt wieder auf den Kopf gestellt, als Elian die Diagnose schwere Hämophile A erhielt. Wir ließen Elians Zungenband durchtrennen und mussten abends in die Notaufnahme fahren, da die Wunde nicht aufhörte zu bluten. Ich musste allein mit Elian in die Notaufnahme und auch über Nacht bleiben, da keiner genau wusste, warum die Wunde so lange blutete. Am nächsten Morgen kam ein Arzt mit einigen anderen Personen zu mir ins Zimmer und meinte, dass ich als Mutter total verantwortungslos sei, da ich bei einem Kind mit bekannter Gerinnungsproblematik einen Eingriff habe machen lassen. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten wir nicht mal, dass Elian eine Gerinnungsproblematik hatte! Hätten wir es gewusst, hätten wir natürlich anders gehandelt.
Aber endlich machte der schwere Start einen Sinn. Dadurch wurde es mental allerdings nicht einfacher. Plötzlich waren wir damit konfrontiert, dass Elian tatsächlich bei der Geburt hätte sterben können und auch jetzt jederzeit an einer spontanen Hirnblutung sterben kann. Leider wurden wir im Krankenhaus auch nicht gerade feinfühlig aufgeklärt. Am ersten Abend bekamen wir nur die Diagnose und hörten Dinge wie: Wir müssen alles abpolstern, damit er sich nicht verletzt, er könnte jederzeit eine Hirnblutung haben, er muss ab jetzt immer einen Helm tragen, ich werde nie wieder arbeiten gehen können, weil keiner mein Kind betreuen möchte usw.
Zwischenzeitlich weiß ich, dass das alles nicht stimmt und früher zwar so war, aber heutzutage ein Leben mit Hämophilie recht normal abläuft.
Aber in diesem Moment, zu dritt in einem schuhkartongroßen Zimmer ohne Besuch (es war immer noch Corona) brach für meinen Mann und mich wieder die Welt zusammen. Wir wechselten uns ab mit Weinen und Aufbauen. Zum Glück war immer einer optimistischer als der andere, sodass wir nie zeitgleich zusammengebrochen sind.
Plötzlich Konduktorin
Mit Elians Diagnose kam dann natürlich der Verdacht auf, dass ich Konduktorin sein könnte. Ich ließ mich testen und hoffte, dass es nicht stimmt. Sollte ich tatsächlich Konduktorin sein, wäre ich ja doch schuld an der Geburt und an allem, was Elian mit seinen drei Monaten schon durchgemacht hat. Bei unserem nächsten Besuch im Krankenhaus wurde dann ganz beiläufig erwähnt, dass ich Konduktorin bin. Niemand klärte mich so wirklich auf. Ich wusste nicht, was das jetzt für mich bedeutet oder auch für unseren weiteren Kinderwunsch.
Zum Glück hatten wir unsere Familie und unseren Freundeskreis, die uns durch diese Zeit halfen. Ich habe mich kurz nach der Geburt an die „Frühen Hilfen“ gewendet, um mit Hilfe einer Therapeutin die Geburt aufzuarbeiten und mich auch mit Elians Hebamme getroffen, um die Geburt zu besprechen und besser zu verstehen.
Elians Prophylaxe-Therapie
Bis Elian 1,5 Jahre alt war, gingen wir wöchentlich zum Spritzen ins Krankenhaus. Wir entschieden uns noch im Krankenhaus, dass wir sofort mit der Prophylaxe starten möchten. Leider war es aber nicht einfach, Elians Venen zu treffen, sodass ich wöchentlich bis zu 2 Stunden im Krankenhaus war und Elian teilweise 8-mal gestochen werden musste. Jedes Mal wurde er gepackt und festgehalten, da nur so der Arzt die Vene treffen konnte. Ich selbst wollte ihn nie festhalten, sondern stand neben ihm und versuchte ihn irgendwie zu beruhigen. Wie schlimm es ist, sein Baby so schreien und leiden zu sehen, muss ich wahrscheinlich nicht erzählen. Ich war sehr froh, dass mein Mann viel im Homeoffice war und mir zu Hause Elian abnehmen konnte, sodass ich mich wieder sammeln konnte.
Hemmkörper – wie geht es weiter?
Mit 1,5 Jahren entwickelte Elian Hemmkörper gegen den Faktor VIII. Wir haben ihn also 1,5 Jahre „umsonst“ gequält, da er schlussendlich doch Hemmkörper entwickelte. Sofort waren die Selbstzweifel und Vorwürfe wieder da. Hatten wir uns falsch entschieden? Wäre es anders abgelaufen, wenn wir auf eine andere Therapie gesetzt hätten? Wie verarbeitet Elian eigentlich alles? Wird er psychische Folgen davontragen?
Leider wurden wir von unserer Klinik wieder nicht gut aufgeklärt, sondern nur mit den Worst-Case-Szenarien konfrontiert. Zum Glück kannten wir zwischenzeitlich aber andere Eltern mit hämophilen Kindern und bekamen den Kontakt zu einer ganz netten Ärztin. Diese nahm sich sofort Zeit für uns und klärte uns telefonisch und online super über unsere Möglichkeiten auf. Sie nahm uns viele Ängste und gab uns auch die Kraft, unsere Meinung gegenüber unserer Ärztin zu vertreten. Wir entschieden uns, keine Behandlung gegen die Hemmkörper machen zu lassen.
Wunschkind Nr. 2
Kurz vor der Hemmkörper-Diagnose kam der Wunsch nach einem zweiten Kind auf. Leider bekamen wir nicht von allen positive Feedbacks. Manche waren der Meinung, dass wir jetzt selbst schuld seien, wenn wir wieder ein hämophiles Kind bekommen würden. Wir waren uns aber sicher, dass wir es auch mit zwei hämophilen Kindern schaffen würden. Natürlich hatten wir auch während der Schwangerschaft Angst davor. Vor allem auch vor der Geburt, da wir erst nach der Geburt erfahren haben, dass unser zweiter Sohn keine Hämophilie hat. Zum Glück waren wir dieses Mal schlauer und konnten uns besser auf eventuelle Komplikationen vorbereiten. Auch die Klinik wusste dieses Mal Bescheid und hat super auf unsere Wünsche und Anliegen reagiert.
Rückblick auf die letzten Jahre
Wir haben in den letzten Jahren doch einiges mitgemacht, haben viel mit (Selbst-) Vorwürfen und Selbstzweifeln zu kämpfen gehabt und mehr als einmal brach unsere Welt zusammen.
Aber wir haben auch sehr viel Rückhalt erfahren, haben gelernt, uns selbst fortzubilden und auch, dass man sich gegen Ärztinnen und Ärzte, Familie, Freundinnen und Freunde behaupten kann und muss. Wir als Paar und Familie sprechen über alles offen und sind auch in unserem Umfeld ganz offen, was Elians Krankheit betrifft. Elian weiß kindgerecht von seiner Hämophilie und wir sind auch ihm gegenüber sehr offen damit.
Natürlich frage ich mich immer noch: Was wäre, wenn …? Aber nicht mehr so oft wie früher.
Ich weiß, dass ich nichts für Elians Krankheit kann. Ich würde sogar sagen, dass ich dadurch stärker wurde, auch indem ich einfach offen über alles rede. Ich habe gelernt bzw. lerne auch immer noch, die Verletzungen richtig einzuordnen und Elian immer ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Auch wenn wir innerlich Angst haben und sofort alles fürs Krankenhaus zusammenpacken, hat Elian es noch nie wirklich gemerkt. Er freut sich sogar auf seine „kleinen Abenteuerreisen“ ins Krankenhaus.
Mein Fazit
Ich kann allen Konduktorinnen und auch Betroffenen nur den Rat geben: Redet offen mit Eurem Partner oder Eurer Partnerin und Eurer Familie über Eure Ängste und Sorgen. Habt keine Angst davor, Euch Hilfe zu holen und nehmt angebotene Hilfe auch an. Ich habe trotz Hämophilie einen lebensfrohen Jungen und dazu noch so viele tolle Menschen kennengelernt, die ich nicht mehr missen möchte.
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