Vor etwas über einem Jahr habe ich hier darüber berichtet, dass ich bisher immer erst, wenn eine Blutung aufgetreten war, mir mein Medikament gespritzt habe. Also die sogenannte Bedarfsbehandlung. Nach über 40 Jahren Hämophilie-Behandlung habe ich nun auf eine Prophylaxe gewechselt. Ein Umstieg, den ich nicht bereue, so viel sei schon mal verraten.
Prophylaxe – was ist das?
Was heißt überhaupt „Prophylaxe“? Das ist ja nicht unbedingt ein Wort, das man täglich in den Mund nimmt, geschweige denn ist es überhaupt ein Thema in der Gesellschaft. Dabei wird Prophylaxe eigentlich sehr häufig bereits im Alltag gelebt. Es bedeutet nämlich „vorbeugen“. Zum Beispiel beugt man durch guten Arbeitsschutz Unfällen im Arbeitsalltag vor. Woher man den Begriff vielleicht dann doch schon mal gehört hat, ist die Zahnpflege. Bei der Prophylaxe im Rahmen von der Zahnpflege beugt man beispielsweise Karies vor.
Warum ist eine Prophylaxe so wichtig?
Diese beiden genannten Beispiele zeigen, wie ich finde ganz gut auf, wie wichtig Prophylaxe ist. Warum also die Prophylaxe nicht auch bei der Hämophilie anwenden? Warum nicht gesundheitliche Beeinträchtigungen, die durch die Hämophilie nun einmal entstehen können, reduzieren oder im besten Fall vermeiden? Eigentlich gibt es keinen Grund, oder?
Doch, irgendwie gab es doch Gründe dagegen – zumindest für mich. Alte Gewohnheiten, eingespielte Abläufe, all das hielt mich eine Zeitlang davon ab, auf eine Prophylaxe umzusteigen. „Never change a running system“ war da die Devise.
Der Umstieg auf eine prophylaktische Therapie
Aber irgendwann habe ich mich dazu durchgedrungen und mit Hilfe des Hämophilie-Zentrums war der Umstieg auch nicht schwierig. Ehrlich gesagt war der Umstieg sogar ganz einfach. Die Ärztinnen und Ärzte haben mich gut über die neueren Behandlungsmethoden beraten und dann bekam ich alles an die Hand, was ich brauchte. Wir besprachen, wie ich das neue Medikament bestellen kann und gaben es gemeinsam in meine App, die ich zur Dokumentation meiner verabreichten Medikamente nutze, ein. Aber nachher ist man immer schlauer.
Ängste, die ich hatte, insbesondere, dass ich einfach mal vergessen könnte zu spritzen, oder aber auch, dass ich das neue Medikament vielleicht nicht vertragen könnte, sind Vergangenheit. Ich habe mich auf Apps eingelassen, die mir automatische Erinnerungen schicken, wenn meine Prophylaxe-Behandlung an der Reihe ist, und Probleme mit der Verträglichkeit gab es auch nicht. Wobei ich gestehen muss, dass ich mir mehr über das Vergessen der Medikamentengaben Gedanken gemacht habe als über mögliche Nebenwirkungen. Medikamente, die auf den Markt kommen, sind heutzutage einfach so sehr getestet und haben klinische Studien durchlaufen, da braucht man eigentlich keine Ängste haben.
Was hat sich für mich geändert?
Die wichtigste Frage überhaupt ist aber natürlich nicht die Frage nach irgendwelchen, eventuell organisatorischen Schwierigkeiten oder nach den persönlichen Ängsten von mir. Sondern die wichtigste Frage ist: Wie geht es einem mit der Prophylaxe? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Es geht mir sehr gut damit. Eine Seite der Medaille ist die körperliche, die andere die seelische.
Die körperliche Seite
Zur körperlichen und für Hämophile sicherlich sehr wichtigen Seite: Ich merke es öfter direkt morgens, dass meine Blutgerinnung besser ist als früher. Beim Rasieren leicht geschnitten bedeutete früher ewiges Bluten. Heute hört es recht schnell auf. Nasenbluten – auch so eine Sache, die früher manchmal Stunden lang andauerte und manchmal auch nur nach einer Medikamentengabe aufhörte. Heute habe ich nur ganz kurz Nasenbluten und dann hört es schon wieder auf. Das sind bei mir die alltäglichen Vorteile.
Ein anderer, sehr wichtiger Punkt ist die Reduzierung von Blutungen. Blaue Flecken durch irgendwo „anschlagen“ sind deutlich weniger geworden. Auch Schmerzen nach Belastungen wie beispielsweise Gartenarbeit oder sportlichen Anstrengungen sind deutlich zurückgegangen. Früher taten mir manchmal tagelang die Muskeln weh. Heute ist das meiner Meinung nach auch nicht mehr als bei anderen Menschen. Wahrscheinlich sind solche Schmerzen früher von Mikroblutungen gekommen, die man nicht sichtbar erfassen konnte, die aber da waren. Eine gefährliche Sache, oft auch mit Langzeitfolgen, die man früher gar nicht so im Fokus hatte. Diese werden durch die Prophylaxe häufig einfach verhindert.
Alles in allem geht es mir also körperlich doch besser als vorher, insbesondere, weil ich weniger Schmerzen habe, weil es gar nicht erst zu großen Blutungen kommt.
Die seelische Seite
Nicht zu vernachlässigen ist die seelische Seite. Die Hämophilie kann ganz schön belastend sein. Einerseits überhaupt die Erkrankung selbst und ihre Folgen für sich zu akzeptieren. Andererseits auch mit Situationen umzugehen, die durch die Hämophilie auf das Gemüt drücken: manche Sportarten nicht ausüben können, teilweise wenig Akzeptanz in der Gesellschaft, der Stempel krank zu sein und vieles andere auch – das ist nicht immer einfach.
Auch ist es nicht leicht die körperlichen Einschränkungen, die durch Blutungen verursacht werden können, zu akzeptieren. Nur ein einfaches Beispiel: Man möchte sich mit Freunden verabreden, kann aber nicht zur Verabredung, weil man eine Blutung im Sprunggelenk hat und nicht laufen kann. Blöde Situation, sich erklären zu müssen und den gemeinsamen Abend zu verpassen und das „nur“ wegen der Hämophilie. Durch die Prophylaxe sind solche Situationen zum Glück bei mir weniger geworden, das ist einfach eine super Sache und entlastet die Seele.
Wo ich mir auch immer viele Gedanken drüber gemacht habe, ist die Gefahr beim Autofahren. Bei mir findet der tägliche Arbeitsweg mit dem Auto statt. Was ist, wenn man dann doch mal einen Unfall hat? Wenn man nur spritzt, wenn etwas passiert, wie ich es über Jahrzehnte lang gemacht habe? Dann reagiert man auf die Folgen, beugt aber nicht vor. Auch ist man dann ungeschützt unterwegs. Keine schöne Vorstellung. Jetzt ist das nicht mehr so häufig Thema bei meinen Gedanken. Ich habe jetzt durch die Prophylaxe einen gewissen Schutz. Das gibt einem einfach ein tolles Sicherheitsgefühl und das nicht nur mir, sondern auch meiner Familie. Also ein sehr positiver Effekt, der nicht nur für mich als Hämophilie-Patient eine tolle Sache ist.
Fazit nach einem Jahr
Mein Fazit ist ähnlich wie ich bereits schrieb, als ich noch nicht lange auf die Prophylaxe umgestiegen war. Es hat eigentlich nur Vorteile und ich frage mich heute, warum ich nicht schon vorher gewechselt bin. Daher kann ich jedem, der noch darüber nachdenkt, nur empfehlen: Lasst Euch darauf ein! Lasst Euch über die Möglichkeiten beraten und seid offen für Neues. Dann ist die Hämophilie nicht mehr so sehr ein Bestandteil in Eurem Alltag.
Prophylaxe ist wie einen Regenschirm zu benutzen, um sich vor dem Nass werden zu schützen.
Euer Sven
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